Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Seit über vier Jahren ist Gilad Schalit in den Händen von Terroristen; besser gesagt: genau seit 1 600 Tagen. Er wurde bei einem Angriff der Hamas und weiterer radikaler palästinensischer Terrorgruppen auf einen Posten der israelischen Armee am 25. Juni 2006 bei Kerem Schalom entführt. Zwei Kameraden von Gilad Schalit wurden bei dem Angriff getötet. Der damals 19-jährige Schalit wurde verletzt und entführt.

Zur Erinnerung: Schalit befand sich auf israelischem Territorium, als er entführt wurde, nicht auf palästinensischem Gebiet. Der Entführte ist israelischer Staatsbürger und besitzt auch die französische Staatsangehörigkeit. Auch wir Europäer sind also zumindest mittelbar davon betroffen. Wir erinnern uns alle an die unmittelbaren Folgen der Entführung, als Israel 2006 mit verschiedenen Militäraktionen versuchte, die Hamas zu besiegen und Schalit zu befreien. Ohne Erfolg. Tote und Verletzte auf beiden Seiten waren die Folge. Der Friedensprozess war erneut unterminiert, und Hass und Gewalt waren erneut erzeugt.

 

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Wir alle wissen, dass normalerweise individuelle Fälle nicht Gegenstand eines Antrags im Deutschen Bundestag sind. Ansonsten hätten wir vermutlich wöchentlich Anträge über aus politischen Gründen entführte Menschen zu behandeln. Doch diese menschliche Katastrophe können wir als Deutscher Bundestag wie auch viele andere Parlamente der Welt – mein Vorredner hat es erwähnt – nicht einfach ignorieren. Deshalb melden wir uns heute hier zu Wort.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb sage ich auch ganz deutlich: Die Freilassung von Gilad Schalit muss bedingungslos erfolgen. Seit über vier Jahren ist Gilad Schalit in den Händen von Terroristen. Nicht einmal das Internationale Rote Kreuz erhält Zugang zu ihm. Die Hamas unterbindet sogar entgegen der dritten Genfer Konvention von 1949 jegliche Kommunikation mit seiner Familie. Das letzte Lebenszeichen – wir erinnern uns alle – war ein ziemlich genau vor einem Jahr veröffentlichtes, etwa zweiminütiges Video, auf dem der verzweifelte Schalit um seine Freilassung bat. Im Gegenzug für das Lebenszeichen ließ die israelische Regierung insgesamt 20 Palästinenserinnen aus dem Gefängnis frei. Zuvor konnte im Oktober 2008 über den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, den syrischen Präsidenten Assad und den katarischen Emir ein Brief der Familie an Schalit übermittelt werden.

Seit etlichen Jahren bin ich selbst oft mehrmals im Jahr in Israel und in den palästinensischen Gebieten und stehe in vielerlei Kontakt zu israelischen Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Jeder, der in den vergangenen Jahren in Israel gewesen ist, weiß, wie groß die Solidarität mit dem entführten Gilad Schalit ist. An Autoantennen, an Koffern, an Rucksäcken oder Handtaschen sieht man gelbe Bänder, die an Schalit erinnern sollen; an Häusern und an Stellwänden kleben Poster mit dem Foto Schalits und den Schriftzügen, dass man ihn nicht vergesse. Das Schicksal Schalits eint in der Tat alle Israelis, egal ob sie säkular oder religiös sind, ob sie sich politisch links oder rechts verorten.

Heute konnten wir in der israelischen Onlinezeitung Ynet einen Brief der Mutter, Aviva Schalit, an Premierminister Netanjahu lesen. Ich will die dort zitierten Worte einfach wiederholen. Sie schrieb an den israelischen Premierminister:

Gilad ist am Leben, in Gaza. Ich weiß nicht, ob er morgen noch am Leben sein wird. Sie und nur Sie sind für sein Leben verantwortlich. Bitte geben Sie diese Verantwortung nicht an Kabinette oder Generäle ab, nur um sie selbst los zu sein.

Ich denke, wir können diese Worte einer verzweifelten Mutter gut nachvollziehen.

Ich will ebenso sagen: Auch viele Palästinenser, mit denen ich gesprochen habe, verurteilen die Entführung Schalits und das Verhalten der Hamas aufs Schärfste und
haben Mitgefühl mit der Familie Schalits.

Aber nicht nur in Israel, sondern auch bei uns in Europa solidarisieren sich Tausende von Menschen mit dem entführten jungen Mann, und das nicht „nur“ in der jüdischen Gemeinde. Auch in meinem Wahlkreis, in meiner Heimatgemeinde Backnang zum Beispiel, haben Bürgerinnen und Bürger Unterschriften gesammelt und sie sogar persönlich in Israel dem Vater Schalits überreicht.

Trotz des traurigen Anlasses ist diese Solidarität jedoch auch ein Zeichen dafür, dass die deutsch-israelischen Beziehungen weiterhin intensiv und lebendig sind, nicht nur auf politischer Ebene, sondern eben auch vor Ort. Ich denke, dass man unseren Bürgerinnen und Bürgern für ihr Engagement und ihre Solidarität für Gilad Schalit an dieser Stelle von ganzem Herzen danken sollte.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte mich der Resolution des US-Kongresses anschließen, die eine bedingungslose Freilassung von Schalit fordert. Auch das
Nahostquartett hat am 30. Mai 2007 in Berlin eine umgehende Freilassung des israelischen Stabsgefreiten ohne Vorbedingungen gefordert.

Ich begrüße auch die Reise des Bundesaußenministers Westerwelle in den Gazastreifen. Mit seinem Besuch hat er die moderaten Kräfte in Gaza unterstützt, ohne mit der Hamas zu sprechen, und zugleich deutlich gemacht, dass sich Deutschland für eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation Gazas einsetzt. Er war auch, was ich für wichtig halte, in Sderot. Ich bin im Frühjahr ebenfalls dort gewesen. Seit Jahren wird die Bevölkerung Sderots durch die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen terrorisiert.

Wir sagen Ja zu Israel, wir sagen Ja zum Existenzrecht Israels, und wir sagen Ja zur Zwei-Staaten-Regelung. Ich meine, das gehört zusammen. Deshalb will ich es an dieser Stelle auch erwähnt haben.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute freilich geht es um einen jungen israelischen Mann, der seit über vier Jahren von Terroristen gefangen gehalten wird, ohne Kontakte zur Außenwelt, ohne Kontakte zur seiner Familie, ohne Zugang zum Internationalen Roten Kreuz.

Deshalb ist unser gemeinsamer Antrag auch so wichtig, dem jeder hier im Bundestag zustimmen kann und sollte. Die Bundesregierung soll sich auch weiterhin gemeinsam mit ihren Partnern mit größtem Nachdruck für die Freilassung Schalits einsetzen, und ich bin mir sicher, sie wird dies auch tun. Schalit muss endlich, nach 1 600 Tagen, zu seiner Familie und in die Freiheit zurückkehren dürfen.

Herzlichen Dank.