Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!   In der letzten Sitzungswoche standen wir, denke ich, alle auch unter dem Eindruck der Demonstrationen, die an dem Wochenende und den Tagen davor stattgefunden haben und die die Kampfhandlungen in Israel und Palästina zum Anlass genommen haben, auch hier in Deutschland auf die Straße zu gehen. Ich will sagen: Man kann in diesem Land von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, wenn man das im Rahmen der Gesetze und im Rahmen der gegebenen Regeln tut. Aber hier ist an einigen – ich betone: an einigen – Stellen das Demonstrationsrecht missbraucht worden. Es ist gegen Jüdinnen und Juden Hass und Hetze auf den Straßen gewesen. Es wurden Flaggen verbrannt, es wurde vor Synagogen gezogen, es kam erstmals seit vielen Jahren wieder zu Sachbeschädigung an Gotteshäusern.

(Karsten Hilse [AfD]: Ja, von wem denn?)

Das – ich kann es nicht anders sagen – war ein Mob auf deutschen Plätzen und Straßen, den ich in diesem Land nicht sehen will. Dieser Mob hat die volle Härte des Rechtsstaates verdient.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hat das was mit den Migranten zu tun, oder nicht?)

Schon länger ist es so – ich habe mit einigen Gemeinden gesprochen, die betroffen waren –, dass aufgerufen wird, die Kippa nicht in der Öffentlichkeit zu tragen. Zudem wurden in diesen Tagen sogar Gottesdienste abgesagt, weil man nicht für die Sicherheit der Menschen, die in diese Gottesdienste gehen wollen, garantieren kann. Ich sage ganz klar: Das ist beschämend für dieses Land. Und wir dürfen nicht nachlassen, bis in diesem Land jeder, egal welcher Religion, ohne Angst und ungehindert auf die Straße und zu seiner Religionsstätte gehen kann. Das ist unverzichtbar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karsten Hilse [AfD]: Sie müssen überhaupt erst mal anfangen! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie regieren doch!)

Die AfD, die sich hier schon wieder lärmend bemerkbar macht, hat einen Antrag zu einem Thema vorgelegt, von dem man, wenn man liest, was sie geschrieben hat, den Eindruck bekommt, dass sie sogar im Ansatz etwas davon verstehen könnte. Sie schreiben hier ganz am Anfang Ihres Antrags – ich zitiere –, „dass sehr viele Muslime Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und Religion haben, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind“. Davon verstehen Sie allerdings etwas; denn Sie selber haben ja viele in Ihren Reihen, die Einstellungen haben zu Demokratie, Rechtsstaat und Religion, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Von Ihnen haben wir da sicherlich keine Ratschläge nötig. Sie könnten sich auch mal mit etwas Selbstdistanz, die Ihnen natürlich komplett fremd ist, überlegen, warum der Zentralrat der Juden sich immer dagegen verwahrt, von Ihnen vereinnahmt zu werden, und sagt, Ihre Unterstützung im Kampf gegen Antisemitismus werde nicht benötigt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Parteipolitische Rücksichtnahme!)

Radikalität und Extremismus jeder Form und jeder Couleur lehnen wir ab und müssen wir uns entgegenstellen. Aber die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Der Feind der Demokratie und die antisemitischen Übergriffe in diesem Land gehen auf das Konto von rechts.

(Beatrix von Storch [AfD]: Sie wissen, dass das falsch ist! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was für eine Lüge!)

Das ist das, was die Zahlen uns sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen ist unsere erste Aufgabe, dem verlängerten Arm dieser Extremisten im Land, der sich in deutschen Parlamenten in Gestalt Ihrer Partei breitmacht, den Kampf anzusagen; und den sage ich Ihnen hiermit auch an.

(Beifall bei der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist die SPD! Helmut Schmidt dreht sich im Grab um! – Beatrix von Storch [AfD]: Hören Sie mit den Lügen auf!)

Wer Radikalität entgegenwirken will, muss für drei Dinge sorgen: Das Erste ist tatsächlich der starke Rechtsstaat. Jetzt will ich auch mal den Koalitionspartner ansprechen: Ein starker Rechtsstaat und Repression heißt eben nicht immer nur, dass man eine neue Gesetzesverschärfung erfindet, sondern wir müssen in allererster Linie dafür sorgen, dass die Gesetze, die wir haben, auch umgesetzt werden.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und dass die Polizei die Instrumente dafür bekommt!)

Ein Beispiel: Es gab über 500 Teilnehmende an der Demonstration in Mannheim. Die Polizei dort hat es geschafft, dass bei fast zwei Dritteln der Beteiligten Personalien festgestellt worden sind

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

und dass mit den Ton- und Videoaufnahmen, die dort gemacht worden sind, nun ein Abgleich stattfinden kann. Ich bin sicher, dass wir in Mannheim eine hohe Aufklärungsquote haben werden

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Und in Berlin?)

und dass die Personen, die Fahnen verbrennen und sich antisemitisch äußern, zur Rechenschaft gezogen werden können. Fragen Sie mal in anderen deutschen Städten, was dort passiert ist. Dort hatte die Polizei zum Teil Mühe, allein diese Demonstrationen abzuriegeln oder zu verhindern, dass die Teilnehmenden vor die dortige Synagoge ziehen. Deswegen: Es kommt auf die Umsetzung unserer Gesetze an. Wir müssen unsere Behörden, wir müssen die Polizei stärken und mit den Ressourcen ausstatten, die sie braucht.

(Zuruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]) Sie braucht auch unser Vertrauen und unsere Rückendeckung für den schwierigen Auftrag, den sie für uns alle wahrnimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mehr noch als das! Warum ist es in Deutschland eigentlich so, dass man bei jedem blöden Paket, das man irgendwo bestellt hat, nachverfolgen kann, wo es gerade im Stau steckt, wenn man aber eine Anzeige macht, nicht weiß, wie es eigentlich um das Verfahren steht. Ich schlage Ihnen vor, dass wir ein Dashboard entwickeln, in dem jeder, der eine Anzeige aufgibt, jederzeit nachschauen kann, wie es um das Verfahren steht, bis es zu einer Verurteilung gekommen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])

Das wäre ein Fortschritt. Und wissen Sie, was der erste Schritt dazu gewesen wäre? Ein periodischer Sicherheitsbericht;

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

der ist diesem Parlament auch versprochen worden.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Was bis zum heutigen Tage dieser Legislaturperiode eben nicht vorliegt, ist der periodische Sicherheitsbericht.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Das ist von der SPD versprochen worden! – Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn? Den habt ihr auch versprochen!)

Er hätte uns möglicherweise Auskünfte zum Verlauf von Strafverfahren und zu ihrer Aufklärung geben können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist ein schweres Versäumnis des Innenministeriums, und das ist an dieser Stelle, wenn man schon dabei ist, Probleme anzusprechen, auch klar zu kritisieren.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Castellucci, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus den Reihen Ihres Koalitionspartners?

Mit Blick auf die Zeit gestatte ich das jetzt nicht. Der zweite Punkt, um den wir uns kümmern müssen, ist die Prävention; Radikalisierung fällt nicht vom Himmel. Wir haben es mit ganz unterschiedlichen Fällen zu tun. Es gibt Menschen, die neu zu uns kommen, die vielleicht in ihrem Leben von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit noch nicht viel mitbekommen haben – das ist wahr –; aber es gibt auch viele Menschen, die bereits im Land sind und rechte, antisemitische, demokratiefeindliche Einstellungen haben, weil sie uns irgendwo verloren gegangen sind. Um dem entgegenzuwirken, braucht es mehr Engagement; dafür braucht man Demokratiearbeit, dafür braucht man Strukturen, da muss man die Menschen stärken, die sich für Demokratiearbeit einsetzen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie regieren doch! Was fordern Sie hier?)

Deshalb ist es ein starkes Stück, was hier passiert. Herr de Vries, Sie sprachen davon, dass es ein Positionspapier Ihrer Fraktion gibt; das ist ja wunderbar. Ich sage Ihnen mal, was ich habe: Ich habe einen Beschluss des Kabinettsausschusses für ein Demokratiefördergesetz, ich habe ein entsprechendes Eckpunktepapier des Bundeskabinetts. Sie halten die wichtige Arbeit daran hier im Parlament auf!

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU])

Damit versündigen Sie sich an der inneren Sicherheit, und das wird auf Sie zurückfallen, wenn wir demnächst die Zahlen bekommen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das werden wir sehen! – Marian Wendt [CDU/ CSU]: Das entscheidet das Parlament, nicht wir!)

Und ein letzter Punkt – da kann ich direkt an den Kollegen Kuhle anschließen –, den wir gegen Radikalisierung in diesem Land brauchen, ist, an einem Wir zu arbeiten, dass all die Menschen, die in diesem Land leben, die sich an die Gesetze halten, die hier Steuern zahlen, Arbeitsplätze schaffen oder einfach nur gucken, dass sie über die Runden kommen und ihre Lieben ernähren, das Gefühl haben, ein gleichberechtigter Teil dieses Landes zu sein.

(Beifall des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])

An diesem Wir müssen wir alle – und tatsächlich alle! – gemeinsam arbeiten. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)