Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wer sich aus den Klauen der Finanzmärkte befreien möchte

(Otto Fricke [FDP]: Der macht keine Schulden!)

- da haben Sie völlig recht, Herr Fricke -, der muss nicht nur die Märkte regulieren, sondern der muss sich auch aus der immer schneller angetriebenen Schuldenspirale befreien.

(Joachim Spatz [FDP]: Sehr gut!)

Insofern haben wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den Weg mit beschritten, auf der nationalen Ebene eine Schuldenbremse einzuführen. Genauso haben wir immer für eine ausgewogene Haushaltskonsolidierung gestritten – selbstverständlich! Aber wenn hier der Eindruck erweckt wird, als sei staatliche Verschuldung per se von Übel, sollte doch zumindest einmal in die allerjüngste deutsche Geschichte geschaut werden. Es waren doch CDU/CSU und SPD, die am Abgrund der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise gesagt haben: Wir versuchen, mit erheblichen öffentlichen Investitionen die Auseinandersetzung im Kampf um Arbeitsplätze zu gewinnen. Wir haben es geschafft. Wir stehen gut da, eben auch – das ist der Preis dieser Lösung gewesen –, weil wir uns in erheblichem Maße neu verschuldet haben; so viel Ehrlichkeit gehört auch in diese Debatte. Lassen Sie doch diese oberlehrerhafte Attitüde in Richtung Griechenland und anderer notleidender Staaten.

(Beifall bei der SPD)

Wir als SPD-Fraktion haben ganz bescheidene Fragen und Maßstäbe hinsichtlich des Fiskalpaktes:

Erstens. Trägt der Fiskalpakt zur Lösung der derzeitigen Probleme bei?

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Ja!)

Zweitens. Hält er, was er verspricht?

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Ja!)

Drittens. Rechtfertigt er die Spaltung der Europäischen Union?

(Joachim Spatz [FDP]: Die findet ja gar nicht statt!)

Dieser Fiskalpakt zementiert das Merkel’sche Modell von Europa: ein Europa der Regierungen, ein Europa der Hinterzimmerdiplomatie.

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – Joachim Spatz [FDP]: Hätten wir nichts machen sollen?)

Hier wird die Demokratie nicht gestärkt. Hier wird die Demokratie geschwächt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –

Norbert Barthle [CDU/CSU]: Es gab noch nie so viel Parlamentsbeteiligung wie in diesen Tagen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir zahlen für diese Politik einen hohen Preis. Man muss einmal schauen, wie die Kommentare aus unseren Nachbarländern klingen. Ich empfehle einmal, die Beiträge

(Joachim Spatz [FDP]: Aus Frankreich! Das ist schon klar!)

des luxemburgischen Ministerpräsidenten oder auch des luxemburgischen Außenministers zu lesen. Wir haben uns mit dieser Politik von den kleineren Mitgliedstaaten entfremdet. Deutschland hat sich immer auch als Sachwalter der Interessen der kleineren Mitgliedstaaten verstanden. Wir haben mit dieser Tradition gebrochen. Das muss diese Regierung mitverantworten.

(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg][SPD])

Wir haben im gleichen Maß die Gemeinschaftsinstitutionen geschwächt.

(Joachim Spatz [FDP]: Quatsch!)

Beispiel Klagerecht: Nicht die Kommission soll klagen, sondern ein Mitgliedstaat oder mehrere Mitgliedstaaten sollen gegen andere Mitgliedstaaten klagen.

(Otto Fricke [FDP]: Wer wollte das?)

Glauben Sie allen Ernstes, dass das jemals passieren wird? Bundestagspräsident Lammert hat schon in der vergangenen Woche eingefordert, die Sanktionen müssten automatisch erfolgen, sonst sehe er keine parlamentarische Mehrheit im Deutschen Bundestag für den Fiskalpakt. Ich will nur einmal daran erinnern: Wer hat denn damals, als die Europäische Kommission und das Europäische Parlament automatische Sanktionen vorgeschlagen haben

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Genau! Das waren Schröder und Eichel!)

– das war im vergangenen Jahr –, diesen Vorschlag bei einem Spaziergang in Deauville geopfert? Das waren doch Frau Merkel und Herr Sarkozy.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –     Otto Fricke [FDP]: Nein, Sie meinen Schröder und Eichel!)

All das, was Sie sich jetzt an die Brust heften, hätte man schon längst im Gemeinschaftsrecht ohne die Spaltung der Europäischen Union in Länder, die sich am Fiskalpakt beteiligen, und in Länder, die sich am Fiskalpakt eben nicht beteiligen, haben können.

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das waren doch Schröder und Eichel!)

Warum sind Sie diesen gemeinschaftlichen, diesen solidarischen Weg nicht weitergegangen? Die jetzigen Vereinbarungen rechtfertigen aus meiner Sicht nicht diese massive Auseinandersetzung und diesen starken Legitimationsbruch. Meine Fraktion spricht sich selbstverständlich für einen Fiskalpakt aus, aber für einen echten Fiskalpakt,

(Otto Fricke [FDP]: Mit Automatismen?)

für einen Fiskalpakt, der den Kampf gegen das Steuerdumping in der Europäischen Union endlich aufnimmt. Es kann nicht angehen, dass Länder in der Europäischen Union eine beschämend niedrige Unternehmensbesteuerung haben und wir die Solidaritätslasten zu tragen haben.

(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Gilt das auch für die Lebensarbeitszeit?)

Selbstverständlich sind wir für einen Fiskalpakt, mit dem man genauso wie für Haushaltskonsolidierung auch für Investitionen in die Energiewende streitet,

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wo kommt das Geld her?)

für Investitionen in den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit und für Investitionen in Innovationen. Ein bisschen mehr Respekt und ein bisschen mehr Anerkennung gegenüber den griechischen Verantwortlichen hätte ich mir auch aus Ihren Reihen gewünscht. Stellen Sie sich nur einen kurzen Moment vor, wir müssten das, was derzeit in Griechenland beraten und diskutiert wird, hier im Deutschen Bundestag beschließen: massive Absenkung der Mindestlöhne – die wir leider noch gar nicht haben –,

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Da sieht man, dass Sie falsch liegen!)

massive Absenkung der Renten und der Altersvorsorgeleistungen, massive Kürzungen im Sozialbereich, massiven Personalabbau im öffentlichen Dienst. Ich will nicht sagen, dass all das nicht notwendig wäre,

(Otto Fricke [FDP]: Aha!)

aber meine Fraktion würde sich ein bisschen mehr Respekt und Anerkennung statt Ihrer permanenten arroganten, oberlehrerhaften Attitüde wünschen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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