Die SPD-Bundestagsfraktion arbeitet im Rahmen des Projekts Zukunft – Deutschland 2020 – an einem Infrastrukturkonsens für unser Land. Wir wollen mehr Demokratie durch eine frühere und ernsthaftere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Planung von sensiblen Infrastrukturprojekten – seien es Bahntrassen, Straßen, Kraftwerke oder Stromleitungen. Gerade weil Deutschland als dicht besiedeltes Industrieland eine leistungsfähige Infrastruktur braucht, um nachhaltige Mobilität, um Energiewende und Klimaschutz zu erreichen, müssen wir Misstrauen abbauen.
Je breiter die Unterstützung für ein Projekt, desto größer die Chancen, dass es solide realisiert werden kann. Was der SPD mit dem Atomausstiegskonsens gelungen ist – der innovative Ausweg aus einem gesellschaftlichen Großkonflikt – das wollen wir mit dem Infrastrukturkonsens für Deutschland fortsetzen.
Kaum Zeit zur Beratung der EFSF-Hebelung
In dieser Sitzungswoche beschäftigt uns erneut die Krise im Euroraum. Wieder geht es um die Ertüchtigung des Euro-Rettungsschirms, der EFSF. Lange haben wir kritisiert, dass die Garantiesumme der EFSF nicht ausreicht, um der Vertrauenskrise auf den Anleihemärkten wirksam zu begegnen. Die Bundesregierung hat das lange geleugnet. Als sie dann mit der Ausweitung kam, war es schon fast zu spät. Schon bei der Änderung des so genannten Stabilitäts-Mechanismus-Gesetzes, das die Ausstattung des Schirms regelt, haben wir klar gemacht: Wir sind für eine Maximierung der finanziellen Kapazität der EFSF, um der ungebremsten Eskalation der Krise im Euroraum etwas entgegenstellen zu können. Aber bitte ehrlich und transparent. Denn wieder wollte die Bundesregierung das erhöhte Risiko verschweigen, das jetzt mit dem so genannten „Hebeln“ der Garantiesumme verbunden ist. Erst in einem gemeinsamen Antrag konnten wir Schwarz-Gelb dazu bringen, diese Risikoveränderung einzugestehen. Nun sind wiederum Wochen vergangen, bis uns endlich am 27. November um 12.30 Uhr die Richtlinien der EFSF mit den Hebelmodellen vorlagen. Am 28. November um 12.00 Uhr begann die Sitzung des Haushaltsausschusses, der darüber zu entscheiden hatte. Das ist, bei der Tragweite der Entscheidungen, ein beispielloser Zeitdruck auf das Parlament.
Enthaltung bei der Fonds-Variante
Wir sind mit vielen kritischen Fragen in den Haushaltsausschuss gegangen. Wir wollten Aufschluss über die Funktionsweise und das Risikopotenzial der Hebel. Das ist nur eingeschränkt möglich gewesen. Zwei Modelle stehen zur Diskussion: Zum einen eine von der EFSF angebotene Versicherung von Staatsanleihen aus Krisenländern, die einen Teil des Ausfallrisikos übernimmt und dadurch potenzielle Anleger beruhigen soll. Zum anderen ein so genannter „Ko-Investitionsfonds“, der EFSF-Mittel durch das Engagement weiterer Investoren ergänzen und vergrößern soll. Gegenüber der Zweckgesellschaft, die einen solchen Fonds betreiben soll, haben wir schon im Oktober unsere Skepsis geäußert. Werden hier nicht wieder durch das Auflegen „strukturierter Finanzprodukte“ Risiken verschleiert? Die Unklarheiten konnten auch in der gestrigen Sitzung des Haushaltsausschusses nicht ausgeräumt werden. Wir haben deshalb im Ausschuss der Versicherungslösung zugestimmt, uns bei der Investorenlösung aber enthalten.
Längst sind doch die Zweifel in der Öffentlichkeit und auf den Märkten gewachsen, ob die EFSF überhaupt noch einen ausreichenden Beitrag zur Krisenbekämpfung leisten kann. Zu viel Zeit wurde vertan. Zu lange hat Merkel mit ihrer bekannten Hinhaltetaktik operiert. Statt selbst zu handeln, hat sie andere handeln lassen. In den hellen Tagesstunden kritisiert Merkel andere Europäer, die jetzt stärkere EZB-Aktivitäten fordern. Wenn es dunkel wird, hofft sie, dass die EZB ihr Aufkaufprogramm weiter führt. Erst 100 Milliarden, jetzt über 200 Milliarden Euro an Staatsanleihen hat die Europäische Zentralbank aufgekauft. Das mag alternativlos geworden sein. Merkel aber sollte aufhören zu behaupten, sie sei gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden. Sie betreibt die Vergemeinschaftung auf kaltem Wege. Hier wird die Öffentlichkeit ganz bewusst hinter die Fichte geführt.
Das ist Merkels Rezession
Inzwischen steckt nicht mehr nur Griechenland in einer Rezessions-Schulden-Spirale. Auch Portugal ist hineingerutscht und hat große Probleme, die Konsolidierungsziele zu erreichen. Sogar Italien als drittgrößte europäische Volkswirtschaft wird jetzt massiv von der Krise erfasst. Mehr noch, auch die Anleihen von bestbewerteten Ländern wie Frankreich sind nur noch mit Zinsaufschlägen zu platzieren. Die Kettenreaktion hat den Kern der Eurozone erreicht. Dabei schlägt jetzt zum zweiten Mal nach 2008 eine Finanzkrise auf die Realwirtschaft durch. Nach der Europäischen Kommission warnt auch die OECD: Die Eurozone rutscht 2012 in die Rezession ab. Die Prognose sagt für Griechenland ein Minus der Wirtschaftsleistung von 3 Prozent voraus, für Portugal ein Minus von 3,2 Prozent, für Italien ein Minus von 0,5 Prozent. Deutschland bleibt davon nicht unberührt. Das ist Merkels Rezession. Denn aus der Abwärtsspirale einer Schulden- und Vertrauenskrise, die durch den Wirtschaftseinbruch weiter verschärft wird, kommen wir mit einseitigen Kürzungsprogrammen und mit einer Politik des erhobenen Zeigefingers nicht heraus. Wenn Merkel jetzt wieder dementieren muss, dass Europa sich aufspaltet in die sechs stärksten Euro-Länder, die gemeinsame „Elite-Bonds“ auflegen, in die Euro-Peripherie, die abgehängt bleibt, und die übrigen EU-Mitglieder, dann ist das ein Hinweis darauf, dass solche Überlegungen inzwischen zirkulieren.
Ein neues Wachstumsmodell
Europa braucht eine Umkehrung dieser Logik der Spaltung. Wir brauchen ein unzweifelhaftes politisches Signal der gemeinsamen Handlungsfähigkeit. Und wir brauchen ein europäisches Modernisierungs- und Investitionsprojekt, das die Weichen Richtung Realwirtschaft stellt und ein neues nachhaltiges Wachstumsmodell ermöglicht. Wir brauchen die Finanztransaktionssteuer, um dieses Programm zu finanzieren. Dieser Neuaufbau bringt nicht nur die Hoffnung zurück, die Europa verloren hat, sondern wird auch die Anleger interessieren, die heute dem Euroraum den Rücken kehren.
Am 2. Dezember gibt Angela Merkel eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 8. und 9. Dezember ab. Schwarz-Gelb redet jetzt von einer Veränderung der europäischen Verträge, um in die Haushalte hoch verschuldeter Staaten eingreifen zu können. Was wir aber brauchen, ist ein umfassender Neustart der Währungsunion, der neben einer wirksamen Schuldenkontrolle auch Steuerdumping verhindert und eine gemeinsame Steuer- und Investitionspolitik ermöglicht. Vor allem brauchen wir die demokratische Legitimation dieser Schritte. Die SPD wird auf ihrem Bundesparteitag Anfang Dezember eine Alternative für Europa zeigen. Politischer Zusammenhalt und wirtschaftlicher Aufschwung bringen Stabilität.