Die SPD hat in den Verhandlungen von Anfang an den Ansatz verfolgt, dass der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, Armut zu bekämpfen und gleiche Teilhabe an Bildung und am gesellschaftlichen Leben sicherzustellen, mehr erfordert als eine politisch willkürliche Regelsatzerhöhung um fünf Euro. Ziel der SPD ist es, vor allem auch die Abhängigkeiten von staatlichen Sozialtransfers zu reduzieren und die Menschen aus Hartz IV herauszuholen, damit sie in der Lage sind, ein eigenverantwortliches Leben zu führen und aus eigener Kraft für sich und ihre Familien sorgen zu können, ohne dabei auf Unterstützung der Solidargemeinschaft angewiesen zu sein. Deshalb sind  die Themen Mindestlöhne und gute Bildungsinfrastrukturen für die SPD untrennbar mit den Hartz IV-Regelungen verbunden.

Schwarz-Gelb wollte keine Einigung

Die Regierung habe den Koalitionsfrieden über die Interessen von Familien mit Kindern und Leiharbeitern gestellt, kommentierte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier den Abbruch der Gespräche durch Union und FDP.

Noch einen Tag vor der letzten Verhandlungsrunde hatte Kanzlerin Merkel die Verhandlungen zur Chefsache erklärt. Trotzdem ist es ihr nicht gelungen, die zerstrittenen Koalitionäre auf einen gemeinsamen Kurs zu vereinen. Die Totalblockade der FDP bei gleichem Lohn für gleiche Arbeit für die Leiharbeitnehmer und bei einem verfassungs-, das heißt armutsfesten Regelsatz für Empfänger der Grundsicherung hat jeden Spielraum ausgeschlossen. Die Uneinigkeit und Schwäche der Union in der Frage des Lohndumpings trat immer klarer zutage.

So stand schon vor den Verhandlungen in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch fest, dass Schwarz-Gelb kein Ergebnis mehr erzielen wollte. Da half es auch nichts mehr, dass Rot-Grün in der Runde zu allen drei Verhandlungsgegenständen – Regelsätze, Mindestlöhne, Bildungspaket – konstruktive Kompromissvorschläge vorgelegt hat. Schwarz-Gelb hat sich auf keinen einzigen Vorschlag eingelassen. Schwarz-Gelb war nicht mehr bereit zu verhandeln, sondern nur noch zu verkünden: Nein zu Equal Pay in der Leiharbeit, nein zur Schulsozialarbeit, nein zu jeder Verbesserung der Regelsätze. Die Verhandlungsgruppe von SPD und Grünen stand Koalitionsvertretern ohne Verhandlungsmandat gegenüber, die nur das Nein als gemeinsamen Nenner kannten.

Am Ende war der Bundeskanzlerin ein notdürftiger parteitaktischer Koalitionsfriede wichtiger als gerechte Löhne für über 6 Millionen Niedriglohnempfänger und wirksame Hilfen für 2,5 Millionen bedürftige Kinder. „Frau Merkel ist eine eiskalte Machtpolitikerin. Ihr geht es nicht um die Kinder und auch nicht um die Betroffenen. Ihr geht es darum, Ruhe in der Koalition zu haben“, sagte die Verhandlungsführerin der SPD-regierten Länder, Manuela Schwesig, nach der Nachtsitzung im ZDF-Morgenmagazin.

Schwarz-gelbe Totalblockade bei Regelsatz und Leiharbeit

Gescheitert sind die Verhandlungen an der fehlenden Kompromissbereitschaft von Union und FDP vor allem bei den Regelsätzen sowie bei Verbesserungen für Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer.

Bei den Regelsätzen hatte die SPD zuletzt vorgeschlagen, den 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfängern wenigstens das Anrecht auf Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr einzuräumen. Doch selbst darauf sei Ministerin von der Leyen nicht eingegangen, berichtete SPD-Verhandlerin Manuela Schwesig.

Totalblockade der Koalition auch beim Thema Leiharbeit: Das „Angebot“ der Koalition, Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern erst nach 9 Monaten den gleichen Lohn zu gewähren wie der Stammbelegschaft, ist zynisch und verhöhnt die Betroffenen. Denn praktisch nutzt es niemandem. Die Hälfte der Leiharbeiter bleibt nur bis zu 3 Monaten im Betrieb. Nur die Durchsetzung des Grundsatzes „Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“ bereits nach einer kurzen Einarbeitungszeit wäre ein wirksamer Schlag gegen das Geschäftsmodell „Lohndumping durch Leiharbeit“. Aber die Lobbyisten der Leiharbeit rennen bei der FDP offene Türen ein. Die starre Verweigerungshaltung der FDP in dieser Frage ist pure Klientelpolitik auf dem Rücken der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer.

Schwarz-gelbe Mogelpackung bei der Bildung

Bei den geplanten Bildungsleistungen für Kinder hatte die Bundesregierung zwar im Laufe der Verhandlungen einige Forderungen der SPD aufgenommen. So wurde auf Drängen der Sozialdemokraten der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Kinder von Kinderzuschlags- und Wohngeldempfängern ausgeweitet. Außerdem hatte Ministerin von der Leyen in der Verhandlungsgrunde im Januar ihren Fehler revidiert, die Bundesagentur für Arbeit mit dem Bildungspaket zu beauftragen und damit viel Geld für neue Bürokratie zu verschwenden. So hatte die SPD durchgesetzt, dass das Bildungspaket dort hinkommt, wo es hingehört: in die Verantwortung der Kommunen.

Doch Schwarz-Gelb war nicht in der Lage, für eine ehrliche und vollständige Finanzierung durch den Bund zu sorgen, bei der die Kommunen alle tatsächlichen Kosten für das Bildungspaket – nicht mehr, aber auch nicht weniger – abrechnen können.

Stattdessen hat Kanzlerin Merkel in einem verzweifelten Versuch, die Länder für eine schlechte Lösung einzukaufen, den Kommunen die Übernahme der Grundsicherung im Alter von 3,7 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Das aber ist ein vergiftetes Angebot: Schließlich hatte Schwarz-Gelb im vergangenen Jahr durch Steuerprivilegien für Klientelgruppen die Haushaltsnotlage vieler Kommunen verschlimmert. Die Koalition war nicht bereit, der SPD-Forderung nach einem Rettungsschirm für die Kommunen zuzustimmen. Dann wurde den Kommunen im Zuge der Gemeindefinanzreform die Übernahme von Kosten der Grundsicherung versprochen. Jetzt soll dasselbe Geld herhalten, um auch noch das zusätzliche Bildungspaket zu finanzieren. Im Ergebnis drohen die Kommunen, die viel für die Bildung tun, auf Mehrkosten sitzen zu bleiben.

Vor dem heutigen Vermittlungsausschuss hat Schwarz-Gelb die Katze aus dem Sack gelassen: Die Koalition will die kommunale Entlastung im Rahmen der Gemeindefinanzreform im März beschließen. Im Gegenzug soll die Gewerbesteuer ausgehöhlt, sollen neue Steuerschlupflöcher aufgemacht werden. Das kostet die Kommunen aber mindestens 10 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen, also in regulären Jahren rund 4 Milliarden Euro. Die Kommunen verlieren mehr als sie überhaupt durch Übernahme Grundsicherung im Alter erhalten.

Hinzu kommt: Finanzminister Schäuble hat angekündigt, die Übernahme der Grundsicherung im Alter gegenzufinanzieren durch Milliarden-Kürzungen bei der Bundesagentur für Arbeit. Das ginge zu Lasten der Arbeitsvermittlung und würde das Ziel, mehr Menschen aus der Bedürftigkeit herauszuholen, konterkarieren.

Vor allem aber hat Schwarz-Gelb die SPD-Forderung blockiert, einen Einstieg in die Stärkung der Bildungsinfrastrukturen vor Ort über die Finanzierung zusätzlicher Schul- und Jugendsozialarbeiter zu vereinbaren. Bessere Bildungsangebote vor Ort und mehr Sozialarbeiter aber sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Bildungsleistungen bei den bedürftigen Kindern überhaupt ankommen können.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann erläuterte, auch hier habe die SPD ihre "umfassende Forderung - ein Milliardenpaket - runtergeschraubt auf 5000 Schulsozialarbeiter für die zehn Prozent der Schulen, an denen 50 Prozent der Schulabbrecher vorhanden sind. Wir sind enorm auf die Regierung zugegangen, ein Kompromiss wäre möglich gewesen, aber war nicht gewollt."

Steinmeier: „Wir wollten und wir wollen eine Einigung“

SPD-Fraktionschef Steinmeier bekräftigte am Mittwoch, die SPD sei jederzeit weiter bereit zu verhandeln. „Wir wollten und wir wollen eine Einigung“, sagte Steinmeier.

Durch die Blockade von Union und FDP wird es jedenfalls im Bundesrat keine Zustimmung der SPD-regierten Länder geben. SPD-Verhandlungsführerin Schwesig forderte die Bundesregierung auf, zwischenzeitlich wenigstens die 5 Euro auszuzahlen und die Leistungen für die Kinder in Kraft zu setzen. Denn die Menschen haben lange genug gewartet.