Steinmeier: Betreuungsgeld ist skandalös und verantwortungslos
Das Problem ist erkannt, die Rezepte liegen auf dem Tisch: Frauen sind stärker als Männer von Armut betroffen. Um das zu ändern, hat die Sachverständigenkommission zum ersten Gleichstellungsbericht vor fast einem Jahr mit ihrem Gutachten die entscheidenden Stellschrauben identifiziert und Lösungsvorschläge erarbeitet. Allerdings zeichnet sich in der Regierung nicht die von der Kommission geforderte Kehrtwende zu einer konsistenten Gleichstellungspolitik ab - im Gegenteil: Stattdessen plant die schwarz-gelbe Koalition ein Betreuungsgeld, das der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier zu Beginn der Veranstaltung als „enttäuschend, skandalös und verantwortungslos“ bezeichnete. Auch die Sachverständigenkommission zum Gleichstellungsbericht hatte der Regierung von einem Betreuungsgeld dringend abgeraten.
Zuschussrente: nicht mehr als ein Butterbrot für die Frauen
Das Modell der Zuschussrente zeige ebenfalls, dass die Regierung nicht an echter Gleichstellung interessiert sei, sagte Humme. „Wir müssen weg vom Reparaturbetrieb.“ Dass das neue Rentenmodell zuletzt den Frauen hilft, findet auch die Diplom-Ökonomin Heide Härtel-Herrmann. Aus ihrer Sicht zementieren von der Leyens Rentenpläne geradezu die weibliche Zuverdienerinnenrolle - die Zuschussrente sei nicht mehr als ein „Butterbrot“ für die Frauen.
Härtel Herrmann weiß, wovon sie spricht. Sie ist Inhaberin des Frauenfinanzdienstes in Köln und berät auch Frauen, die ihr Leben jahrzehntelang darauf ausgelegt haben, dem Mann den Rücken frei zu halten und auf eine eigene Erwerbstätigkeit zu verzichten. Das rächt sich letztlich nicht nur für die Frau, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt, rechnet die Ökonomin vor: Eine Frau, die ein Leben lang nicht erwerbstätig war, koste die Gesellschaft durch Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenkasse und Witwenrente insgesamt mehr als eine halbe Million Euro. Derlei Anreizsysteme spalteten die Frauen, betont die Finanzexpertin. „Die Frauen kassieren vergiftete Geschenke.“
Frauen beziehen im Schnitt rund 60 Prozent weniger Rente als Männer
Ein grundsätzliches Umdenken hält auch Dina Frommert von der Rentenversicherung Bund für unerlässlich: Um die Lücken zu schließen, müsste vor allem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert und geringfügige Beschäftigung versicherungspflichtig gemacht werden. Frommert, die auch eine Expertise zum ersten Gleichstellungsbericht geliefert hat, gibt beim jetzigen Status Quo wenig Anlass zur Hoffnung: Die Rentenlücke zu Ungunsten von Frauen, der sogenannte Gender Pension Gap, betrage derzeit 59,6 Prozentpunkte. Und auch bei den jüngeren Frauen falle dieser Abstand nur geringfügig günstiger aus.
Ursächlich für den Gender Pension Gap ist mit jeweils zwei Dritteln zweifellos auch der hohe Frauenanteil im Niedriglohnsektor und in Minijobs. Eine armutsfeste Absicherung im Alter ist mit einer solchen Beschäftigung nicht zu erwarten. Demzufolge führe an einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn sowie an einer Reform der Minijobs kein Weg vorbei, ist Humme überzeugt. Auch Hannelore Buls, frühere Leiterin des Bereichs Gleichstellungspolitik bei ver.di, sieht die Minijobs kritisch: Hier würden Beschäftigte nach ihrem persönlichen Status bezahlt und nicht nach geleisteter Arbeit. Die Zeche zahlten letztlich die Beschäftigten und nicht die Unternehmen.