Durch das zweite Rettungspaket kann der Finanzierungsbedarf Griechenlands zunächst wohl gedeckt werden. Positiv ist die vereinbarte Zinssenkung und Laufzeitverlängerung der Kredite sowohl für Griechenland als auch für Portugal und Irland zu bewerten. Die Entlastung dürfte aber kaum ausreichen, um die Zahlungsfähigkeit des Landes auf Dauer zu sichern. Nach Pressemeldungen führt das Gesamtpaket zu einer Senkung der griechischen Staatsschuld um 26 Milliarden Euro (FAZ vom 23. Juli 2011 „Wie Griechenland abermals gerettet werden soll“).
Die vorgesehene Beteiligung der privaten Gläubiger ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Nach einhelliger Einschätzung der Experten wird den Banken und Versicherungen nur ein geringer Finanzierungsbeitrag abverlangt. Die Gläubigerbeteiligung beruht auf einer Einigung mit der internationalen Bankenvereinigung IIF (Institute For International Finance). Es handelt sich um eine freiwillige Beteiligung. Damit sich die Banken beteiligen, werden ihnen starke Anreize geboten.
Zum einen ist der Abschlag von 21 Prozent geringer als die Verluste bei einem Verkauf der Anleihen auf den Finanzmärkten. Dort wurden griechische Anleihen, je nach Laufzeit, zum Teil nur mit 50 bis 60 Prozent des Nennwertes gehandelt. Als zweiter Anreiz zum Tausch wird eine Garantie des europäischen Rettungsfonds für die neuen Anleihen eingeführt. Die Banken werden somit weitgehend von Risiken freigestellt. Die in der Abschlusserklärung genannten Beträge für die private Gläubigerbeteiligung sind außerdem Hoffnungswerte. Die endgültige Beteiligung der privaten Gläubiger steht erst nach Abschluss der freiwilligen Umtauschaktion der bestehenden Anleihen in neue Anleihen fest. Vor allem aber soll es sich bei der Gläubigerbeteiligung um einen einmaligen und auf Griechenland beschränkten Vorgang handeln.
Besserer Schutz vor Ausweitung der Krise
Bei der vorgesehenen Erweiterung der Aufgaben des EFSF/ESM handelt es sich um das bedeutsamste Ergebnis des Euro-Gipfels. Es ist aber zweifelhaft, wie diese neuen Maßnahmen ohne Aufstockung des Fonds finanziert werden sollen. Außerdem blieben die Staats- und Regierungschefs auf halbem Wege stehen. Einen effektiven Schutz vor der Ausbreitung der Krise auf andere Euro-Staaten bietet letztlich nur eine gemeinschaftliche Kreditaufnahme durch die Einführung von Eurobonds.
Kritisch ist außerdem, dass noch keine konkreten Fortschritte bei der Reform des institutionellen Rahmens der Währungsunion erzielt wurden. Die gemeinsame Währung muss durch eine gemeinsame Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik flankiert werden. Eine enge Abstimmung der Haushalts- und Finanzpolitiken ist die Kehrseite einer gemeinschaftlichen Garantie der Staatsschulden. Eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken ist eine unverzichtbare Bedingung um ein Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten zu verhindern. Die Staats- und Regierungschefs müssen deshalb ihrer Ankündigung, die Verhandlungen über den Stabilitäts- und Wachstumspakt voran zu bringen, schnell Taten folgen lassen.
Auf dem Euro-Gipfel wurden somit zwar Schritte in die richtige Richtung unternommen, die aber nicht weit genug gehen. Dies gilt für die zu geringe Entlastung Griechenlands, die unzureichende Gläubigerbeteiligung, die inkonsequente Erweiterung der Instrumente des EFSF/ESM und die ausgebliebenen Fortschritte bei den institutionellen Reformen. Die Bekämpfung der Krise erfordert dagegen ein klares Bekenntnis zur gemeinschaftlichen Verantwortung und gegenseitigen Unterstützung der Euro-Staaten.
Die Beschlüsse des Euro-Gipfels im Einzelnen
Neues Rettungsprogramm für Griechenland
Der Finanzierungsbedarf für Griechenland soll durch ein neues Rettungsprogramm der Euro-Staaten zusammen mit dem IWF und dem freiwilligen Beitrag des Privatsektors gedeckt werden.
Der Gesamtbetrag der durch Euro-Staaten und IWF getragenen Finanzierung soll 109 Milliarden Euro betragen. Das Rettungsprogramm soll aus vier Teilen bestehen. Es enthält erstens direkte öffentliche Kredite zur Refinanzierung des griechischen Staates von 34 Milliarden Euro. Zweitens sind weitere 20 Milliarden Euro zur Rekapitalisierung griechischer Banken vorgesehen. Drittens sind 35 Milliarden Euro zur Absicherung von Risiken eingeplant, die aus der Beteiligung privater Gläubiger entstehen.
Viertens sind 20 Milliarden Euro veranschlagt, mit denen Anreize für private Gläubiger für einen freiwilligen Schuldenrückkauf gegeben werden sollen.
Die Auszahlung der Kredite soll über den EFSF erfolgen. Die neuen EFSF-Kredite sollen eine Laufzeit von 15 bis 30 Jahren mit einer tilgungsfreien Zeit von 10 Jahren haben. Die EFSF-Kredite sollen außerdem zu niedrigen Zinssätzen von rund 3,5 Prozent gewährt werden.
Auch die Laufzeiten der Kredite aus dem bereits existierenden Rettungsprogramm von 2010 sollen deutlich verlängert werden.
Beteiligung der privaten Gläubiger
Der Finanzsektor soll sich auf freiwilliger Basis mit einer Reihe von Optionen an der Rettung Griechenlands beteiligen. Den Kern der Beteiligung bildet ein Anleihentausch. Es wurde vereinbart, dass die Banken 90 Prozent ihrer griechischen Staatsanleihen mit einem Abschlag von 21 Prozent gegen neue Anleihen eintauschen. Nach der Abschlusserklärung soll dieser Anleihentausch in der Zeit von 2011 bis 2014 einen Nettobeitrag der Banken von 37 Milliarden Euro erbringen. Der Anleihentausch soll bis 2019 fortgesetzt werden. Dadurch soll ein weiterer Beitrag von 56 Milliarden Euro erbracht werden.
Ergänzt werden soll der Anleihentausch durch ein vom EFSF mit 20 Milliarden Euro mitfinanziertes Schuldenrückkaufprogramm (vierte Komponente des Rettungsprogramms; siehe oben). Der Beitrag der privaten Gläubiger an diesem Schuldenrückkauf soll sich nach der Abschlusserklärung auf 12,6 Milliarden Euro belaufen.
Legt man den Zeitraum von 2011 bis 2019 zugrunde, soll der Nettobeitrag des privaten Sektors laut Abschlusserklärung 106 Milliarden Euro betragen.
Mit der Beteiligung Privater an der Finanzierung Griechenlands wird ein kurzfristiger Zahlungsausfall Griechenlands in Kauf genommen. Die Rating-Agentur Fitch hat nach Pressemeldungen angekündigt, dass sie im Herbst, wenn die Umtauschaktion für die Anleihen der privaten Gläubiger beginnt, das Rating der griechischen Anleihen auf „Selective Default“ (eingeschränkter Ausfall) absenken wird. Allerdings will die Agentur das Rating gleich nach der Umtauschaktion wieder anheben – weil die neuen Anleihen vom europäischen Rettungsfonds garantiert werden.
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat nach dem Euro-Gipfel erklärt, dass die EZB griechische Staatsanleihen trotz der zu erwartenden Herabstufung der Bonitätsnote als Sicherheiten für Kredite an Banken akzeptieren werde. Dies wird durch eineGarantie des EFSF über 35 Milliarden Euro ermöglicht. Außerdem werden die neuen Anleihen ohnehin durch die Euro-Länder abgesichert.
In der Abschlusserklärung wird ausdrücklich festgestellt, dass es sich bei der Beteiligung des Privatsektors an der Finanzierung Griechenlands um eine „außergewöhnliche und einmalige Lösung“ handele.
Erweiterung der Aufgaben des EFSF-Fonds
Der EFSF-Fonds bekommt neue Instrumente, um einer Ausbreitung der Krise auf andere gefährdete Euro-Staaten vorzubeugen. Er kann künftig zum Ankauf von Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten genutzt werden, d.h. der Fonds kann Staatsanleihen der Euro-Staaten von Privaten an den Finanzmärkten zu Marktpreisen erwerben. Zudem soll der Fonds vorbeugende Programme für gefährdete Euro-Staaten auflegen dürfen. Sowohl der Anleihekauf auf den Sekundärmärkten als auch die Auflage präventiver Programme soll nur möglich sein, wenn dies sowohl von der EZB als auch den Euro-Staaten einvernehmlich befürwortet wird. Der EFSF soll außerdem Kredite an Nicht-Programmländer zur Rekapitalisierung ihres Bankensektors vergeben können. Der EFSF wird aber nicht aufgestockt.
Irland und Portugal
Auch für Portugal und Irland, die ebenfalls Hilfen der Euro-Staaten erhalten, sollen die Ausleihbedingungen des EFSF gelten.
Wirtschaftliche Koordination
Zu den anstehenden institutionellen Reformen zur besseren finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitischen Koordination der Euro-Staaten wurden noch keine konkreten Beschlüsse gefasst. Die Staats- und Regierungschefs riefen aber dazu auf, dass die Verhandlungen über das Gesetzgebungspaket zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der neuen makroökonomischen Überwachung mit dem Europäischen Parlament rasch vorangebracht werden sollen. Außerdem wird der Präsident des Europäischen Rates ersucht, bis Oktober konkrete Vorschläge für ein verbessertes Krisenmanagement im Euro-Währungsgebiet vorzulegen.