Drei Grundentscheidungen wurden von Gerhard Schröder und einer SPD-geführten Bundesregierung gefällt: Die ökologische Steuerreform, der Atomausstiegskonsens und das Erneuerbare-Energien-Gesetz waren nur möglich, weil wir die Machtverhältnisse im Land verändert haben. Wir haben die Energiewende ganz bewusst unter den Bedingungen eines Industrielandes eingeleitet. Wir haben nicht nur gegen alle Anfeindungen der damaligen Opposition von Union und FDP Kurs gehalten. Wir haben auch die Deindustrialisierung verhindert, sind den Weg der Verantwortung gegangen und haben in harten Verhandlungen mit der Energiewirtschaft einen Konsens erzielt. Das ist der Grund, warum Deutschland heute weit besser als andere Länder auf die Herausforderungen der postatomaren Energieära vorbereitet ist. Das ist der Grund, warum wir als Industrie- und Innovationsstandort bei Effizienztechnik und Erneuerbaren Energiequellen einen Vorsprung gewonnen haben.

Für die SPD zählt auf lange Sicht die disziplinierte Arbeit gerade an den industrie-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Dimensionen einer neuen Energiepolitik. Die in Deutschland vorhandene Wertschöpfungskette von industrieller Grundstoffproduktion bis hin zum hochspezialisierten High-Tech-Mittelständler ist die entscheidende Ressource für Innovation, die wir für die Energiewende und den Klimaschutz brauchen. Wir haben die schwierigen Fragen der Versorgungssicherheit zu beantworten, die wir aus eigener Kraft und ohne importierten Atomstrom erreichen wollen. Dazu gehören hocheffiziente und lastflexible Kohle- und Gaskraftwerke. Wir müssen den Netzausbau bundesweit zur Priorität machen und dafür Legitimität schaffen. Wir brauchen einen sozial-ökologischen Lastenausgleich, der Gerechtigkeit schafft bei den Kosten und den Renditen der Energieeffizienzinvestitionen und des Ausbaus der Erneuerbaren. Vor uns liegen detaillierte technologiepolitische und gesetzgeberische Schritte. Deshalb ist die Berufung einer Regierungskommission durch Angela Merkel, die den irreführenden Titel einer „Ethik-Kommission“ bekommen hat, mehr Publicity-Manöver als seriöses Regierungshandeln. Die ethische Frage des Atomausstiegs ist beantwortet. Wir müssen daraus die Konsequenz ziehen und gute Politik machen. Was wir jetzt ins Werk setzen müssen, ist eine wirtschaftlich innovative und sozial gerechte Energiewende. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den vergangenen Monaten ein detailliertes Energiekonzept erarbeitet, das wir in dieser Woche in die Beratungen einbringen. Wir zeigen, wie die Ziele der CO2-Reduzierung und der Erhöhung des Anteils Erneuerbarer Energien an der Versorgung zu erreichen sind. Darüber kann und muss man streiten. Die Auseinandersetzung darüber ist aber die ureigene Aufgabe des Parlaments. Wir fordern daher die Einsetzung eines Sonder-Ausschusses Atomausstieg und Energiewende. Die permanente Umgehung und Missachtung des Deutschen Bundestages durch die schwarz-gelbe Koalition muss ein Ende haben.

Reform des Wahlrechts

Die Geringschätzung des demokratisch-parlamentarischen Grundkonsenses durch die Regierung Merkel wird an zahlreichen Fällen in der Energie-, der Europa- oder der Sicherheitspolitik mit dem verunglückten Umbau der Bundeswehr deutlich. Doch auch die öffentlich kaum beachtete Fundamentalfrage der Wahlrechtsreform liefert dafür jetzt Anschauungsunterricht: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eine Neuregelung der so genannten Überhangmandate aufgetragen. Die zunehmende Zahl dieser Mandate führt zur Verzerrung der Wahlergebnisse, wenn den Zweitstimmen eine andere Mehrheit nach Mandaten gegenübersteht. Das wäre der Weg in die Verfassungskrise. Nach intensiven fraktionsübergreifenden Beratungen, in denen wir uns dafür eingesetzt haben, die verzerrende Wirkung der Überhangmandate durch entsprechende Ausgleichsmandate an die übrigen Fraktionen zu heilen, ist die schwarz-gelbe Koalition jetzt aus den Verhandlungen ausgestiegen. Die Regierungsmehrheit will die Frage im Alleingang regeln. Das wäre eine schwere Hypothek. Politisches Einvernehmen über Fragen des Wahlrechts ist entscheidend für die Akzeptanz unserer Demokratie.

Lage in Libyen

Nach wie vor gibt die Lage in Libyen Anlass zu größter Sorge. Den Rebellen ist es gelungen, die Truppen des Gaddafi-Regimes abzuwehren, doch es gibt keine Anzeichen dafür, dass das internationale militärische Eingreifen eine schnelle Lösung des Konfliktes bringt. Ein lang andauernder Bürgerkrieg in Nordafrika würde radikale Kräfte stärken und die gesamte Region destabilisieren. Schon jetzt spitzt sich die humanitäre Situation in den umkämpften Gebieten zu. Wir brauchen mehr denn je eine politische Initiative, die international abgestimmt und im ersten Schritt auf einen Waffenstillstand gerichtet ist. Dies ist eine Voraussetzung, um Hilfe für die Menschen in Not leisten zu können und einen politischen Prozess zu befördern, der die Gaddafi-Herrschaft beendet. Die Bundesrepublik muss sich an der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung beteiligen. Wir fordern von der Bundesregierung Klarheit in Worten und Taten. Vor allem muss die Regierung Parlament und Öffentlichkeit unverzüglich unterrichten, ob sie eine Beteiligung der Bundeswehr an der Absicherung der humanitären Hilfe anstrebt. Ohne genaue Informationen, wie ein solcher Einsatz aussehen soll, welche Risiken er hat und wann er beendet wird, kann niemand zustimmen. Eine Blankovollmacht ist ausgeschlossen.

Zur humanitären Lage gehört auch das Schicksal der Flüchtlinge. Der Tod von mehr als hundert Menschen aus afrikanischen Ländern, die vor der Küste von Lampedusa in Seenot gerieten, ist eine dramatische Mahnung, dass schnelle Hilfe geboten ist. Europa aber ist zerstritten und fällt zurück in national-egoistische Reflexe. Sowohl die unabgestimmte Erteilung von Visa durch Italien wie die Reaktion, das Schengen-Abkommen außer Kraft zu setzen und nationale Grenzkontrollen wieder einzuführen, ist eine Bankrotterklärung der gemeinsamen europäischen Innenpolitik. Die Bundesregierung trägt bislang nichts zur Lösung der Krise bei. Sie gießt vielmehr Öl ins Feuer, wenn sie Italien jede Unterstützung verweigert und keine Strategie zur Bekämpfung der Fluchtursachen vorlegt.

In der gegenwärtigen kritischen Situation im Nahen Osten und in Nordafrika rächt sich, wie konzeptionslos und letztlich desinteressiert die Bundesregierung gegenüber unseren Nachbarn im Mittelmeerraum agiert. Sie hat Deutschland durch Ungeschicktheit und Unklarheit in der Frage des Militäreinsatzes in Libyen isoliert. Sie steht nun auch bei den internationalen Vermittlungsbemühungen für einen Waffenstillstand abseits. Es zeigt sich, wie sehr Union und FDP in den vergangenen anderthalb Jahren das Verhältnis zur Türkei vernachlässigt haben. Als einflussreiche Regionalmacht kann die Türkei nicht nur im Falle Libyens, sondern in der gesamten Mittelmeerregion eine konstruktive Rolle spielen. Wer aber wie die Bundesregierung der Türkei dauerhaft die kalte Schulter zeigt, darf sich nicht wundern, dass sich das Land von Europa abwendet. Europa muss zu einem Neuanfang in der Mittelmeerpolitik kommen, der dem Ernst der Lage angemessen ist. Bislang sind nur Lippenbekenntnisse zu hören. In diesen Wochen und Monaten entscheidet sich, ob aus dem hoffnungsvollen Aufbruch zur Demokratie in den arabischen Ländern ein rechtsstaatlicher, wirtschaftlicher und sozialer Neuanfang wird oder ob Enttäuschung und Extremismus doch noch triumphieren und die Menschen zur Flucht treiben. Deutschland muss jetzt eine führende Rolle einnehmen und nicht weniger als einen Marshallplan für die Modernisierung des Nahen Ostens initiieren.

Die SPD wird im engen Austausch mit Experten und in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, die über ein einzigartiges Netzwerk in der Region verfügt, ihren Beitrag dazu leisten.