Existenzminimum darf nicht in Hinterzimmern ausgekungelt werden

Das Bundesverfassungsgericht hatte klargestellt, dass die Regelsätze für Langzeitarbeitslose den erforderlichen Bedarf für ein menschenwürdiges Existenzminimum abdecken müssen. Dieser Bedarf muss nachvollziehbar und transparent berechnet werden. Die SPD-Bundestagsfraktion wirft der Bundesregierung vor, die Regelsätze politisch ausgekungelt und nach Kassenlage berechnet zu haben.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Elke Ferner sagte in einer Aktuellen Stunde am Mittwoch, Frau von der Leyen habe sich bei der Berechnung der Regelsätze nicht am erforderlichen Existenzminimum, sondern an den politischen Vorgaben von FDP-Chef Westerwelle und der Haushaltspolitiker orientiert. Herausgekommen sei ein nicht nachvollziehbares Zahlenwirrwahr. „Das ist alles andere als eine transparente Berechnung.“

Auch die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende und Mecklenburgische Sozialministerin Manuela Schwesig kritisierte, die Koalition habe sich „mit dem Rechenschieber ins Hinterzimmer gesetzt.“ Ein menschenwürdiges Existenzminimum dürfe nicht ausgekungelt werden. Die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Anette Kramme sagte an Frau von der Leyen gewandt: „Ich nehme ihnen nicht ab, dass sie an diesen Betrag von 5 Euro glauben.“

 

Rede der Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Elke Ferner MdB, in der Aktuellen Stunde "bedarfsgerechte Regelsätze" vom 29.09.2010:

 

Eindeutige Indizien für Verfassungswidrigkeit

Die Rednerinnen und Redner der SPD-Bundestagsfraktion forderten die Bundesregierung auf, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen. Zahlreiche Indizien sprechen dafür, dass Union und FDP die klaren Maßstäbe des Verfassungsgerichts verletzen.

So wurden bislang, bezogen auf die Einkommensverteilung, die unteren 20 Prozent der Haushalte zugrunde gelegt, um zu errechnen, was man für ein menschenwürdiges Leben braucht. Frau von der Leyen hat nun diese Bezugsgruppe ohne weitere Begründung auf die untersten 15 Prozent verkleinert, um den Regelsatz für Ein-Personen-Haushalte festzulegen. Da die neue Bezugsgruppe  weniger Einkommen hat, wird auf diese Weise auch der Grundsicherungsbedarf herunter gerechnet.

Das sieht nach Willkür und Manipulation aus. Anette Kramme: „Warum ist Schwarz-Gelb nicht bereit zu zeigen, was es bedeuten würde, wenn wir 20 Prozent als Bezugsgruppe nehmen würden? Ich kann nur sagen: Ein Schelm der Böses vermutet.“

Hinzu kommt, dass in der Vergleichsgruppe beispielsweise auch die sogenannten Aufstocker enthalten sind, die ihr geringes Erwerbseinkommen durch Sozialleistungen aufstocken. Ergebnis ist ein unzulässiger Zirkelschluss, bei dem die Höhe künftiger Sozialleistungen an der Höhe bestehender Sozialleistungen bemessen wird.

  

Rede der Sprecherin für Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion, Anette Kramme MdB, in der Aktuellen Stunde "bedarfsgerechte Regelsätze" vom 29.09.2010:  

 

Kampf gegen Armut braucht gesetzlichen Mindestlohn

Die schwarz-gelbe Koalition löst mit ihrem Vorschlag nicht die Grundprobleme von Menschen, die bedürftig sind: nämlich Arbeitslosigkeit sowie Armut trotz Arbeit. Schwarz-Gelb weigert sich, flächendeckende Mindestlöhne einzuführen, und kürzt die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Ergebnis: weniger Menschen kommen in Arbeit, weniger Erwerbstätige können von ihrem Lohn leben, mehr Menschen sind auf soziale Transferleistungen angewiesen.

Union und FDP argumentieren, die Regelsätze dürfen nicht steigen, weil das sogenannte Lohnabstandgebot eingehalten werden muss. Richtig ist: Wer arbeitet, muss mehr Geld haben als derjenige, der nicht arbeitet. Deswegen stehen Dumpinglöhne und der Regelsatz in einem engen Zusammenhang. Aber: Der schwarz-gelbe Weg lautet: Dumpinglöhne akzeptieren,  Regelsatz herunter rechnen. Die richtige Lösung wäre: Mindestlöhne einführen, Regelsatz existenzsichernd ausgestalten. Manuela Schwesig brachte es in der Aktuellen Stunde am Mittwoch auf den Punkt: „Das Urteil verbietet es, die Regelsätze nach unten zu schrauben, um das Lohnabstandsgebot einzuhalten. Wir müssen die Löhne anheben.“

Stattdessen versuchen Union und FDP, Arbeitslose und Geringverdiener gegeneinander auszuspielen. Manuela Schwesig: „Sie spielen Menschen gegeneinander aus – Geringverdiener  gegen Arbeitslose – und parallel stecken sie der Pharmalobby und den Atomkonzernen Geld in den Rachen.“

Bildungspäckchen – ungenügend, Frau von der Leyen. Setzen, sechs!

Auch die schwarz-gelben Pläne zur Förderung der Bildung und Teilhabe von Kindern sind vollkommen ungenügend:

  • Die Regelsätze für Kinder bleiben unverändert. Frau von der Leyen behauptet sogar, dass die Kindersätze eigentlich sinken müssten. Deshalb plant sie in den kommenden Jahren weitere Nullrunden für bedürftige Kinder.
  • Der von der SPD geforderte und jetzt geplante Zuschuss für ein warmes Mittagessen an der Schule kann nur dort helfen, wo es auch Essensangebote gibt. Solche Angebote gibt es aber bundesweit gerade einmal für 20 Prozent der Kinder.
  • Die vorgesehenen Leistungen zur Bildung und sozialen Teilhabe von Kindern wurden von Schwarz-Gelb weder berechnet noch begründet. Abzüglich des bereits bestehenden Schulbedarfspakets stehen pro Kind für die soziale und kulturelle Teilhabe gerade mal 12,50 Euro pro Monat für Musikunterricht, Freizeit und Sportverein zusätzlich zur Verfügung.
     

Es bleibt die Frage offen, wie die veranschlagten Mittel ausreichen und wie die Leistungen überhaupt bei den Kindern ankommen sollen. Die Bundesregierung ist bei der Umsetzung auf die Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen angewiesen. Frau von der Leyen aber hat in den acht Monaten seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur ein einziges Mal mit den Ländern gesprochen.

 

Rede der  Stellvertretenden SPD-Vorsitzenden, Manuela Schwesig LMin, in der Aktuellen Stunde "bedarfsgerechte Regelsätze" vom 29.09.2010:

 

Bildungsteilhabe braucht mehr Kitas und Ganztagsschulen

Bildungsteilhabe braucht starke und gut ausgestattete Kitas und Schulen mit mehr Ganztagsangeboten. Dafür brauchen wir dringend einen neuen Bund-Länder-Pakt für Bildungsinvestitionen und Infrastrukturausbau. Das öffnet den Weg zu gleichen Bildungschancen in Deutschland, auf den auch Kinder aus armen Familien eine gute Zukunft finden können.

 

Rede der Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Dagmar Ziegler MdB, in der Debatte "Bemessung der Regelsätze nach dem SGB II" vom 30.09.2010: