Vor diesem Hintergrund diskutierten Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands und Sachverständiger der Enquetekommission sowie Prof. Dr. Ute Klammer, Soziologin und Vorsitzende der Sachverständigenkommission Gleichstellungsbericht zum Thema „Nachhaltige Lebenswelten“. Moderiert wurde die Debatte von Edelgard Bulmahn, Sprecherin der SPD-Arbeitsgruppe zur Enquete-Kommission.

Auf dem Weg in eine neue Epoche

Michael Müller mahnte eine gesamtgesellschaftliche und historische Perspektive auf den Wertewandel an. Er sieht unsere Gesellschaft nicht in einer Krise, sondern an einem Epochenbruch. Wir stünden am Ende eines Entwicklungspfades und müssten die Kraft für die Gestaltung eines neuen nachhaltigen Entwicklungspfades aufbringen.
Aufbauend auf den Ideen von Max Weber und Karl Polanyi beschreibt Müller die Moderne als weltgeschichtliche Epoche, geprägt von der französischen Revolution, den ideengeschichtlichem Idealismus und Industrieller Revolution. Dies habe zum Glauben an einen linearen Fortschritt geführt. Die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten im Zuge der Globalisierung, die kontinuierliche Absenkung der Wachstumsraten in den Industrieländern und damit verbundene Legitimationsprobleme unserer Wirtschaftsweise verlangten neue Antworten. Die Enquete-Kommission dürfe nicht nur regulative Vorschläge entwickeln, sondern auch Ideen für den sozio-kulturellen Wandel. Entscheidend sei dabei, wer die Akteure sind, die den Umbau auf eine längerfristige orientierte Gesellschaft in die Hand nehmen und Nachhaltigkeit als gesamtgesellschaftliches Prinzip auch gegen Widerstände durchsetzen können.

Wie wir arbeiten wollen und müssen

Arbeit und Beschäftigung spielt für Lebensglück und Lebenszufriedenheit eine wichtige Rolle – das zeigen alle relevanten Untersuchungen. Als nachhaltig kann ein Arbeitsverhältnis laut Ute Klammer dann bezeichnet werden, wenn es Entwicklungsmöglichkeiten ausreichend Einkommen sichert.

Insbesondere Frauen hätten aber selten derartige Jobs. So sei die Erwerbsbeteiligung von Frauen zwar auf etwa zwei Drittel gestiegen, das Arbeitszeitvolumen jedoch nicht. Immer mehr Frauen teilen sich also das gleiche Arbeitsvolumen. Die tatsächlichen Arbeitszeiten zwischen Frauen und Männern entwickeln sich noch mehr auseinander. Dies entspräche aber nicht den Arbeitszeitwünschen der Menschen. Männer würden gern weniger arbeiten (Vollzeit ohne Überstunden), Frauen hingegen gern mehr (etwa in der Größenordnung einer kurzen Vollzeit von 30 – 35 Stunden pro Woche). Ein Grund für den Widerspruch zwischen Arbeitszeitwünschen und tatsächlicher Arbeitszeit seien tradierte Rollenvorstellungen, kulturelle Vorbehalte, aber auch Institutionen im Sozial- und Steuersystem (z.B. Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung, Minijobs). Auch der Mangel an ganztägigen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen verhinderten, dass Menschen so leben wie sie leben wollen.

Flexible Arbeitszeit-Instrumente könnten zwar einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf leisten, aber auch die Trennung zwischen beiden aufheben. Wenn ArbeitnehmerInnen etwa nicht selbst über die Nutzung von Arbeitszeitkonten entscheiden können, könnten diese Instrumente auch gegenteilige Effekte haben. Genauso wie die Führung durch Zielvereinbarungen führten diese zu einer Verfügbarkeitskultur bei schlecht bezahlten, ungesicherten Beschäftigtengruppen.

Reformen für eine nachhaltige Arbeitswelt

Einig waren sich die Diskutierenden, dass Erwerbsarbeit weiter zentral bleibt, es aber auch Zeiten geben muss, in denen Sorgearbeit wie Erziehung und Pflege solidarisch abgesichert wird. Flexible Arbeitszeiten können dann einen Beitrag zur nachhaltigen Arbeitswelt leisten, wenn die ArbeitnehmerInnen selbst darüber entscheiden können sie zu nutzen („garantierte Optionalitäten“).

Edelgard Bulmahn wies auf die Anforderungen für den politischen Gestaltungsrahmen hin, den dies zur Folge hat. So müssten Arbeitszeitmodelle mehr Wahlmöglichkeiten zulassen. Insbesondere müsse der Umfang großer Teilzeit bzw. kleine Vollzeit ausgebaut werden. Außerdem müssten Minijobs neu reguliert werden, weil sie besonders oft zu Dequalifizierung und Altersarmut führten. Auch die Tarifpartner und Betriebsparteien seien bei der nachhaltigen Gestaltung der Arbeitswelt gefragt. Zudem müsse die Arbeitszeitdebatte mit einer Debatte über Arbeitsentgelte verbunden werden, u.a. dem Mindestlohn, sonst gäbe es kaum Legitimation für Arbeitszeitverkürzung.

Die Diskutierenden waren sich einig, dass gesellschaftspolitische Leitbilder präziser beschreiben werden müssen um nachhaltige Lebensstile politisch durchzusetzen. Dazu hat dieser Fortschrittsdiskurs einen Beitrag liefern wollen.

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Diskussionsplattform "Arbeit und Leben" des Fortschrittsforums

Sitzung "Zukunft der Arbeit" der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"