Ist es richtig, dass ein Steuerhinterzieher wie Uli Hoeneß Präsident von Bayern München bleiben darf?
Steinmeier: Der Fall Hoeneß hat zwei Dimensionen. Das eine ist die Steuerhinterziehung selbst, deren ganzes Ausmaß noch nicht bekannt ist. Darum kümmern sich die Steuerbehörden und die Staatsanwaltschaft in Bayern. Der Fall zeigt, dass Peer Steinbrück Recht damit hatte, massiv gegen Steuerhinterziehung vorzugehen. Das hat diese Bundesregierung bisher versäumt. Im Gegenteil: Sie wollte uns zwingen durch eine Zustimmung zum Schweizer Steuerabkommen, die Steuerhinterzieher weiter in der Anonymität und damit im straffreien Raum zu belassen. Ich bin froh, dass sich die Bundesländer unter Führung von Nordrhein-Westfalen diesem Druck nicht gebeugt haben.
Muss das Konsequenzen für Bayern München haben?
Steinmeier: Der Verein Bayern München ist eine Aktiengesellschaft. Die Bestimmungen des deutschen Aktienrechts regeln die Pflichten der Aufsichtsräte. Ich kann nur hoffen, dass die Vorstandsvorsitzenden und Vertreter von Audi, Telekom, Adidas und Burda, die im Aufsichtsrat der Bayern sitzen, sich über die Reichweite ihrer Verpflichtung im Klaren waren, als sie beschlossen, dass der Fall Hoeneß keine Konsequenzen für Bayern München haben soll.
Es gibt Leute die sagen, Hoeneß hat öffentlich bereut, damit muss es jetzt gut sein. Was sagen Sie dazu?
Steinmeier: Der Meinung ist nicht einmal Uli Hoeneß selbst. Im Unterschied zu seinen CSU-Unterstützern weiß Hoeneß, dass er unrecht gehandelt hat. Sonst hätte er sich ja nicht selbst angezeigt. Ob allerdings seine Selbstanzeige strafbefreiende Wirkung hat, werden die Richter entscheiden.
Haben Sie eine Erklärung dafür warum so häufig Prominente mit viel Geld auf der hohen Kante und Vorbildcharakter wie etwa einst der Postchef Zumwinkel oder jetzt Hoeneß ihre Steuern nicht bezahlen?
Steinmeier: Ich bin immer wieder fassungslos, dass Leute Teile ihres Vermögens außer Landes bringen. Das ist nicht nur moralisch verwerflich. Es zerreißt auch das Band, das unsere Gesellschaft zusammenhält und auf dem Gerechtigkeit steht. Denn auch die, die ihr Geld in der Schweiz, in Liechtenstein oder den Steueroasen in der Karibik bunkern, nutzen öffentliche Schulen für ihre Kinder, fahren auf Straßen oder gehen in Theater. Sie nutzen also Einrichtungen, die von denjenigen bezahlt werden, die jeden Tag hart arbeiten und ihre Steuern ordentlich abliefern. Das ist nicht in Ordnung. Wenn die Menschen selbst nicht darauf kommen, muss die Politik dafür sorgen, dass Steuerschlupflöcher geschlossen werden.
Apropos Steuern: Die neue Steuerschätzung ergibt einen etwas langsameren Anstieg als erwartet, aber insgesamt erfreuliche Zahlen und neue Rekordstände für Deutschland. Sind Steuererhöhungen überhaupt nötig?
Steinmeier: Die Steuerschätzung zeigt vor allem, wie entscheidend es war, dass die deutsche Wirtschaft durch die Reformanstrengungen von Gerhard Schröder wieder auf die Beine gekommen ist. Ohne diese harten Jahre, die der SPD weh getan haben, ginge es uns heute nicht wesentlich besser als unseren Nachbarstaaten. Wir wissen deshalb, dass die aktuell hohen Steuereinnahmen Folge der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung der letzten Jahre seit den Reformen sind. Aber das hält nicht ewig. Im Gegenteil: Für 2014 gibt es nur noch eine Erwartung von 0,4 Prozent Wachstum. Da werden die Steuereinnahmen drastisch zurückgehen. Unsere exportgetriebene Wirtschaft hat natürlich Einbußen, weil viele unserer Nachbarn wirtschaftlich daniederliegen. Deswegen ist es so fahrlässig, dass die Regierung Merkel in den vergangenen vier Jahren nichts, aber auch gar nichts getan hat, um auch in Zukunft für Wachstum und Wohlstand zu sorgen. Merkel hat eine Vorliebe für Gipfeltreffen. Mit Entscheidungen und handfestem Tun hat sie es weniger. Aber so entsteht Stillstand. Und aus Stillstand entsteht keine Zukunft.
Sie verteidigen die Agenda 2010. Dazu gehörte die Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent. War das richtig?
Steinmeier: Wir müssen uns in Europa keinen Wettbewerb um die höchsten Steuern liefern. Steuern sind niemals Selbstzweck. Sie sind ein Instrument zur Erfüllung staatlicher Aufgaben. Sie müssen mit Augenmaß bemessen sein, damit es nicht gleichzeitig negative Effekte auf Wirtschaft und Arbeit gibt. Momentan haben wir in Europa das Problem, dass wir drastisch die Schulden senken müssen und dass wir gleichzeitig mehr in Bildung investieren müssen, damit wir auch mit weniger Kindern in Zukunft noch wirtschaftlich erfolgreich sein können. In einer solchen Situation darf der Spitzensteuersatz allerdings auch kein Tabu sein. Wer das kritisiert, sollte sich erinnern, dass jeder private Bürger und jedes Unternehmen unter Helmut Kohl mehr Steuern bezahlt hat, als unter Gerd Schröder, und ein Spitzensteuersatz von 49 Prozent wie die SPD ihn vorschlägt, einerseits Finanzmittel für Schule und Bildung schöpfen, andererseits immer noch deutlich unter den Steuersätzen der CDU/FDP-Regierungen früherer Jahre liegt. Und wenn wir zum Anfang des Interviews zurückkommen: Würden nicht Steuerhinterzieher sich ihrer Pflicht gegenüber der Gesellschaft entziehen, würde jeder seine Steuern rechtmäßig bezahlen, gäbe es vermutlich gar keine Debatte um Steuererhöhungen.
Ihr grüner Wunschkoalitionspartner hat sich eine historisch noch nie dagewesene Erhöhung von Steuern und Abgaben vorgenommen. Ist das notwendig?
Steinmeier: Jede Partei streitet für ein eigenes Wahlprogramm. In jedem Wahlkampf muss jede Partei für das Beschlossene eintreten. Das bedeutet auch, dass die Grünen mit den kritischen Fragen hinsichtlich ihrer steuer- und finanzpolitischen Vorstellungen umgehen müssen. An dem Programm der SPD haben wir anderthalb Jahre gearbeitet. Es ist rund und dafür trete ich ein. Die SPD ist eine Volkspartei, die auch in Steuerfragen sowohl den sozialen Ausgleich als auch die Gesamtbelastung im Blick behalten muss. Das tun wir.
Herr Steinmeier, die FDP hat sich auf ihrem jüngsten Parteitag für Lohnuntergrenzen entschieden. Nehmen Sie diese Wende als ein sozialliberales Signal wahr?
Steinmeier: Was von diesem FDP-Parteitag vor allem übrig bleibt, sind die Krawall-Auftritte von Brüderle und Rösler. Das war unangemessen im Ton und unwürdig für eine Partei, die Regierungsverantwortung trägt. Außerdem ist die FDP unglaubwürdig in den Beschlüssen. Rösler hat jahrelang gegen den Mindestlohn agitiert und diese Litanei wurde ihm auf dem Parteitag zu Recht vorgehalten. Letztlich hat sich die FDP gegen den ernsthaften flächendeckenden Mindestlohn entschieden.