Herr Oppermann, an diesem  Sonntag ist Sigmar Gabriel der am längsten amtierende SPD-Vorsitzende seit Willy Brandt. Was wünschen Sie ihm?  Eine Idee, um die SPD wieder zu alter Stärke zurückzuführen?

Oppermann: Sigmar Gabriel hat nach der schweren Wahlniederlage 2009 Verantwortung übernommen. Als alle gedacht haben, jetzt zerreißt es die SPD, hat er die Zügel festgehalten und die Partei in kurzer Zeit wieder in Regierungsverantwortung geführt. Sein größtes Verdienst ist dabei die Geschlossenheit der SPD. Ich wünsche ihm Gesundheit, Kraft und Ausdauer für die nächsten fünf Jahre.

Haben  Sie angesichts sinkender Wachstumsraten schon mal bereut, sich mit der Union in Sachen Renten-Wohltaten einen Überbietungswettbewerb geliefert zu haben?

Ich bereue nichts! Wir haben die Lebenssituation vieler Menschen mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro und der Rente mit 63 nach 45 Beschäftigungsjahren spürbar verbessert. Das ist  kein Geschenk für Wählerinnen und Wähler, sondern das haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hart erarbeitet und verdient. Trotzdem müssen wir die Signale einer sich abschwächenden Konjunktur ernst nehmen und alles daran setzen, die Wirtschaftskraft Deutschlands auszubauen. Deshalb ist es gut, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unseren Vorschlag für ein Investitionsprogramm aufgegriffen hat.

Dem linken SPD-Flügel ist es  nicht genug: Er pocht auf die Vermögenssteuer. Ist  die Geschlossenheit Ihrer Partei gefährdet?

Nein. Strömungen in der SPD sind Ausdruck unseres Charakters als Volkspartei. Natürlich gibt es unterschiedliche Denkrichtungen, die haben ihre Berechtigung. Von ihnen kommen oft inhaltliche Impulse. Was wir nicht brauchen können, sind Flügelkämpfe. Darunter haben wir in der Vergangenheit sehr gelitten, und wir sollten die gleichen Fehler nicht wiederholen. Denn die Geschlossenheit der SPD war der entscheidende Faktor bei den Koalitionsverhandlungen Ende 2013 und auch für die Erfolge im ersten Regierungsjahr.

SPD-Chef Gabriel will Steuererleichterungen, befürwortet den Abbau der kalten Progression. Erwarten Sie vom CDU-Bundesparteitag ein Signal in diese Richtung?

Ich finde es nicht richtig, wenn von Lohnerhöhungen weniger als die Hälfte auf den Konten der Arbeitnehmer landet. Deshalb wünsche ich der CDU mehr Mut in dieser Frage. Wenn sich im Haushalt zusätzliche Spielräume für eine Abmilderung der Kalten Progression ergeben, sind wir jederzeit gesprächsbereit.

Die Grünen hat es zerrissen beim Überbietungswettbewerb um die schönste Steuererhöhung. Welche Botschaft schickt der SPD-Fraktionschef an die an die derzeit tagende Grünen-Delegiertenkonferenz?

Ich wünsche den Grünen viel Realismus und hoffe, dass sie nicht Wolkenkuckuskheim-Beschlüsse fassen. Die SPD ist in der Regierung vor allem deshalb erfolgreich, weil sie die Oppositionszeit genutzt hat, um umsetzbare Reformkonzepte zu erarbeiten. Die Betonung liegt auf „umsetzbar“. Vielleicht bemühen sich die Grünen ja auch darum. Ich beobachte mit Interesse, wie die Grünen gerade versuchen, sich aus der Insolvenzmasse der FDP den Begriff der Freiheit zu sichern.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Grünen der SPD als Wunschpartner verloren gehen, weil sie in die Mitte Richtung Union rücken?

Ich rate dazu, nicht in Bündnisoptionen zu denken. Wir wollen selbst so stark wie möglich werden. Der Schlüssel zum Kanzleramt liegt bei einem Wahlergebnis von über 30 Prozent.

Die Wirtschaft klagt über die Kosten der Bahnstreiks. Überzieht nach der Gewerkschaft GDL jetzt auch die EVG?

Das Streikrecht gehört zur sozialen Marktwirtschaft. Sie sind ein legitimes Mittel zur Unterstützung von Forderungen in Tarifverhandlungen. Allerdings sollten Streiks nicht für Machtkämpfe zwischen Gewerkschaften missbraucht werden.

Kritische Beobachter finden, dass im Bundeskabinett die Schwarzen und die Roten kaum zu unterscheiden sind. Wo sehen Sie den Unterschied?

Wir sind in einer Koalition und arbeiten auf der Grundlage gemeinsamer Vereinbarungen eng zusammen. Da hilft Streit unter den Koalitionären nicht. Abgerechnet wird zum Schluss. Die Wählerinnen und Wähler werden entscheiden, wer wie viel geleistet hat. Ich finde, die SPD steht gut da.

Der linke Parteiflügel findet SPD-Chef Gabriel zu wirtschaftsfreundlich …

Ich warne davor, Gegensätze zu konstruieren. Die SPD steht für eine moderne Wirtschaftspolitik und für nachhaltigen Klimaschutz. Unser Markenzeichen ist, beides in Einklang zu bringen. Deshalb wird Sigmar Gabriel Anfang Dezember ein Konzept vorlegen, wie die Klimaschutzziele 2020 erreicht werden können. Dabei spielen Energieeffizienz und energetische Gebäudesanierung eine zentrale Rolle. Dafür werden wir auch zusätzliche Mittel aus dem Zehn-Milliarden-Förderprogramm bereitstellen.

Rot-Rot-Grün in Thüringen ist unter Dach und Fach. Führt das zu Störung oder gar zum Riss bei Schwarz-Rot im Bund?

Nein, das hat keinerlei Auswirkungen. In Thüringen wird über die Schulpolitik entschieden, nicht über den Euro und nicht über die internationale Verantwortung Deutschlands. Deshalb bin ich gelassen. Ich glaube, Thüringen wird eine neue Regierung nach 24 Jahren CDU gut tun.

Die  CDU-Chefin und Kanzlerin hat mit  Schärfe Kritik an dieser SPD-Entscheidung für Rot-Rot-Grün geäußert …

Das Schöne an der Demokratie ist, dass man Wahlen gewinnen kann. Aber man muss auch verlieren können. Der CDU ist es nicht gelungen, Mehrheiten für eine Regierung zusammen zu bekommen. Die CDU muss auf passen, dass sie nicht als schlechter Verlierer dasteht. 70 Prozent der SPD-Mitglieder in Thüringen haben sich dafür  ausgesprochen, mit Linken und Grünen Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das ist zu akzeptieren.

Thüringen ein Testlauf für den Bund?

Nein. Die Linke im Bund ist in Teilen europafeindlich und kämpft gegen den Euro, sie lehnt die Nato ab – mit dieser Linken kann man keine verantwortliche Regierungspolitik gestalten.

Zum Schluss: Sie waren 2013 einer der aggressivsten Wahlkämpfer gegen die Union. Jetzt nennt man Sie „leiser Fraktionschef“. Was ist passiert?

Wir sind ja nicht im Wahlkampf. Mein Ziel ist, im Parlament möglichst viel für die SPD durchzusetzen. Und das geht leise viel besser als laut. Auf den Wahlkampf 2017 freue ich mich aber schon jetzt. Die SPD wird da eine gute Bilanz vertreten können.