Ist ein Bundespräsident mit Freundin ähnlich problematisch wie ein Bundespräsident mit großzügigen Freunden?
Thomas Oppermann: Das kann man nicht miteinander vergleichen. Die persönlichen Beziehungen gehören zur privaten Lebensgestaltung.
Können Sie mit Begriffen wie „Wilde Ehe“ oder „Bratkartoffelverhältnis“ noch etwas anfangen, die jetzt im Zusammenhang mit Joachim Gauck gerade wieder auftauchen?
Oppermann: Nein, das ist eine eigenartige Renaissance verstaubter Begriffe aus einer Zeit, die wir zum Glück überwunden haben. Mit unserer sozialen Realität haben diese Begriffe nichts mehr zu tun. Auf die formale Struktur einer Beziehung kommt es nicht an, sondern darauf, was die Menschen fühlen und ob sie füreinander einstehen.
Jede Wahl eines Bundespräsidenten steht immer auch für eine aktuelle oder künftige politische Koalition. Für was steht die Nominierung von Gauck?
Oppermann: Gauck steht nicht für eine bestimmte politische Richtung, nicht für eine bestimmte Regierungskonstellation. Er steht hoffentlich für die Rückkehr einer werteorientierten Politik in Deutschland. Gauck ist ein Anhänger von Freiheit und Demokratie. Er sieht Freiheit nicht in erster Linie als „Freiheit von“ etwas, sondern als „Freiheit zu“ etwas. Freiheit zu verantwortlichem Leben und Handeln. Genau darum muss es in einer Demokratie gehen. Wir leben in einem sozialen Gemeinwesen, das darauf angewiesen ist, dass wir auf der Basis gemeinsamer Grundwerte-Vorstellungen handeln. Diese Werte sind nicht zuletzt gerade durch die schwarz-gelbe Regierung und der von ihr akzeptierten Verhaltensweisen im Falle Wulff oder auch zu Guttenberg doch sehr in Frage gestellt.
Kritiker sagen, bei Gauck steht die Freiheit über der Solidarität – da könnten Teile der SPD mit ihm noch Schwierigkeiten bekommen.
Oppermann: Freiheit für alle gibt es nur in einem modernen Sozialstaat. Freiheit und soziale Sicherheit gehören zusammen. Menschen, die nicht wissen, wovon sie in den nächsten Wochen leben sollen, sind nicht frei. Das ist eine Erkenntnis, die auch Joachim Gauck nicht fremd ist.
Kann die Kanzlerin jetzt in aller Ruhe abwarten, dass Gras über die Affäre Wulff wächst und die SPD Ruhe gibt?
Oppermann: Es bleibt Tatsache, dass die Kanzlerin sowohl bei Guttenberg als auch bei Wulff bis zum Tag des Rücktritts mit Durchhalteparolen aus dem Kanzleramt eine falsche Position unterstützt hat. Es scheint ihr immer nur um ihre eigene Macht zu gehen, der sie notfalls auch ihre Überzeugungen und Werte unterordnet.
Hat der Kanzlerin die Affäre Wulff denn vielleicht gar eher genutzt?
Oppermann: Mittelfristig nicht, kurzfristig womöglich ja.
Und weil Wulff die Debatten bestimmte und über Monate keiner mehr groß fragte, was eigentlich die Regierung gerade tut?
Oppermann: Ja, die Affäre und die Debatte über den Bundespräsidenten hat zweifellos von wichtigen anderen Themen abgelenkt: zum einen von Griechenland und Euro-Debatte, zum anderen von innenpolitischen Themen. In allen wichtigen Fragen ist diese Koalition zerstritten – das hat die Affäre wochenlang überdeckt.
Das ist doch ein Versäumnis der Opposition – die Kanzlerin daran zu erinnern, dass sie nicht Ersatz-Präsidentin, nicht Ersatz-Außenministerin, sondern vor allem Regierungschefin ist.
Oppermann: Daran erinnern wir sie täglich. Jetzt kommt auch die Zeit, wo die Koalition sich stellen muss.
Zum Beispiel in Sachen Griechenlandhilfe. Wir Steuerzahler pumpen schwindelerregende Summen hinein, jetzt wieder 130 Milliarden. Ist das nicht ein Fass ohne Boden?
Oppermann: Die Bundesregierung hat sich seit fast zwei Jahren mit Geld für Griechenland immer wieder nur Zeit gekauft. Sie hat diese Zeit aber nicht genutzt, um dort grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Das liegt in erster Linie daran, dass die Kanzlerin immer wieder den Eindruck erweckt hat: Mit dem jeweils nächsten Hilfspaket werden die Probleme gelöst. Was jetzt zusammengeschnürt worden ist, wird vermutlich auch nicht ausreichen. Aber in Griechenland sind wichtige Reformen unterblieben. Auch die Griechen müssen sich anstrengen.
Da klingen Sie in den Ohren eines Griechen nicht viel anders als Finanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU.
Oppermann: Die Kanzlerin hat immer wieder anzudeuten versucht, dass die Griechen faul seien und damit in beiden Ländern Ressentiments geschürt. Ich glaube, dass die meisten Griechen fleißig sind. Aber die Ergebnisse ihres Fleißes versickern in einem von Vetternwirtschaft geprägten Staatswesen – das ist das Grundproblem. Es ist völlig ausgeschlossen, dass ein so hochverschuldeter Staat über die Sparbeiträge von Krankenpflegerinnen, Taxifahrern und Rentnern saniert werden kann. Gleichzeitig nimmt man hin, dass die großen Vermögen außer Landes gebracht werden. Ein unglaublicher Vorgang, wie die Wirtschafts- und Funktionseliten in Griechenland ihren Staat im Stich gelassen haben.
Was kann Europa da tun? Griechenland bräuchte - allein um die Neuverschuldung auf Null zu bringen - ein Wirtschaftswachstum von sechs, vielleicht sogar zehn Prozent. Das ist völlig illusorisch.
Oppermann: Die jetzige Sparpolitik führt dazu, dass Griechenland immer tiefer in die Krise rutscht. Man wird sich kaputt sparen, wenn man nicht gleichzeitig Strukturen verändert und eine Art Marshall-Plan entwickelt, der dazu führt, dass wirtschaftliches Wachstum entsteht. Sonst werden die Griechen nicht in die Lage kommen, wenigstens den größeren Teil ihrer Staatsschulden zurückzahlen zu können. Einseitig auf Kürzungen und Einsparungen zu setzen, ist falsch.
Ist das mit dem Euro möglich?
Oppermann: Ein Ausscheren Griechenlands bedeutet eine enorme Abwertung der Währung. Damit einher ginge eine enorme Abwertung des Besitzstandes. Viele Leute würden in soziales Elend gestürzt. Das können wir mitten in Europa nicht zulassen. Das ist unkalkulierbar und könnte am Ende sogar teurer werden.
Am Montag, soll der Bundestag über das neue Milliarden-Rettungspaket abstimmen. Wird die ganze SPD-Fraktion der Athen-Nothilfe zustimmen?
Oppermann: Wir können das erst am Montag beraten, wenn der Antrag der Bundesregierung auf dem Tisch liegt. Ich rechne aber damit, dass wir eine verantwortliche Entscheidung treffen.
Das heißt?
Oppermann: Wir können Griechenland in der Situation nicht hängen lassen.
Als Experten für Innere Sicherheit beschäftigt Sie auch der Terror von rechts. War die Zwickauer Terrorzelle Ihrer Einschätzung nach der militante Arm der NPD?
Oppermann: Jedenfalls ist eine Reihe von NPD-Mitgliedern als Unterstützer des nationalsozialistischen Untergrundes aktiv gewesen. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass das Terrortrio untertauchen konnte. Die NPD hat diesen Terror sicher nicht aus ihren Gremien heraus gesteuert. Aber es gibt Hinweis auf eine informelle Arbeitsteilung zwischen einer legalen NPD, rechtsextremen gewaltbereiten Kameradschaften und terroristischen Neonazis im Untergrund.
Liefern die Ermittlungen gegen die drei mutmaßlichen Gewalttäter Material für ein neues Verfahren zum Verbot der NPD?
Oppermann: Ich glaube, dass wir ein Parteienverbot auch auf die menschenverachtende Ideologie stützen können, die die NPD auszeichnet. Sie ist eine antisemitische, fremdenfeindliche, antidemokratische und in Teilen auch gewaltbereite Partei. Das ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Wenn jetzt auch noch punktuelle Verbindungen zu terroristischen Straftaten hinzukommen, für die die NPD zumindest das geistige Rüstzeug geboten hat, sehe ich gute Chancen für einen zweiten Anlauf vor dem Verfassungsgericht.
Wann wissen Sie da Konkretes?
Oppermann: Die Innenministerkonferenz wird am 22. März hoffentlich entscheiden, dass wir jetzt Beweise sammeln für ein neues NPD-Verbotsverfahren. Wir sind eine solche Entscheidung den Menschen schuldig, die wir vor dem rechten Terror nicht schützen konnten. Die Demokratie in Deutschland ist wohl stark genug, um die NPD aushalten zu können. Aber die Opfer rechtsextremer Gewalt – die Einwanderer und Minderheiten – sind nicht stark genug. Der Staat muss sie vor braunem Terror schützen.
Haben wir mit dem nächsten Bundesinnenminister gesprochen? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit?
Oppermann: Ich arbeite als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion intensiv und gerne für einen Regierungswechsel im Herbst 2013. Den Rest entscheiden wir dann.