Herr Schneider, Zehntausende haben am Wochenende deutschlandweit gegen steigende Mieten demonstriert. Die SPD fordert eine starke Rolle des Staates auf dem Wohnungsmarkt. Was verstehen Sie darunter genau?
Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Die Wohnung ist der Lebensmittelpunkt für Familien und das Zuhause eines jeden Menschen. Deshalb ist die Wohnung keine Ware wie jede andere, die Regeln des freien Marktes greifen hier nicht. Trotzdem wird der Wohnungsmarkt von vielen als Spekulationsobjekt genutzt, gerade in der derzeitigen Niedrigzinsphase. Das Ergebnis sind explodierende Miet- und Kaufpreise, die immer mehr Menschen aus ihren Nachbarschaften, aus ihrem Zuhause verdrängen.
Deshalb muss der Staat zum Wohle der Allgemeinheit noch stärker als bisher in den Wohnungsmarkt eingreifen. Die SPD hat in dieser Hinsicht in den letzten Jahren bereits eine Trendwende hin zu einer sozialeren Wohnungspolitik eingeleitet. Es ist uns gelungen, die soziale Wohnraumförderung dauerhaft im Grundgesetz festzuschreiben. Damit haben wir die Grundvoraussetzungen geschaffen, die Länder und Kommunen ab dem Jahr 2020 weiterhin bei der Schaffung von erschwinglichen Wohnungen zu unterstützen. Der Bund wird den sozialen Wohnungsbau in dieser Wahlperiode mit 5 Milliarden Euro fördern.
Was hat die Große Koalition darüber hinaus getan?
Wir haben im Bundeshaushalt festgelegt, dass die Länder und Kommunen seit 2018 das Erstzugriffsrecht auf Liegenschaften der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben haben. Das ist gut, denn von nun an kann die BImA den Kommunen bei einem direkten Erwerb von Grundstücken für den Zweck des sozialen Wohnungsbaus Vergünstigungen bis zu 100% des Kaufpreises gewähren.
In Berlin gibt es ein Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienkonzerne. Wie stehen Sie dazu?
Ich kann die Wut der Menschen über steigende Mieten nachvollziehen. Wir dürfen uns aber nicht zu irrationalen und kontraproduktiven Scheinlösungen, wie der Enteignung, verleiten lassen. Enteignung schafft keine einzige neue Wohnung. Statt großen Wohnungskonzernen Milliarden für Entschädigungen hinterherzuwerfen, sollten wir diese Mittel lieber für den sozialen Wohnungsbau einsetzen.
Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel regt an, dass Kommunen Boden nur noch per Erbpacht zur Nutzung übereignen. Unterstützen Sie diesen Vorstoß?
Extrem wichtig für mehr bezahlbare Wohnungen ist eine aktive und nachhaltige Bodenpolitik. Deshalb bin ich wie Hans-Jochen Vogel dafür, dass die Kommunen vermehrt auf Erbbaurecht setzen, anstatt ihren Boden an Dritte zu veräußern. Denn Boden ist kein Gut wie jedes andere, sondern eine begrenzte Ressource. Unser Ziel muss es sein, Boden in öffentlicher Hand zu belassen. Nur so können wir in Zukunft eine aktive und nachhaltige Bodenpolitik betreiben und uns vor Spekulanten und dem Druck des Marktes schützen. Diesbezüglich habe ich hohe Erwartungen an die Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“, die im Sommer 2019 konkrete Vorschläge zur nachhaltigen Baulandmobilisierung und Bodenpolitik vorlegen wird.
Angesichts steigender Mieten – nicht nur in Ballungsräumen – ist die alte sozialdemokratische Idee der Genossenschaft wieder zurück?
Genossenschaften sind wichtige Akteure auf dem Wohnungsmarkt und haben eine lange Tradition, Menschen mit guten und bezahlbaren Wohnungen zu versorgen. Gleichzeitig helfen Wohnungsgenossenschaften, die Verwerfungen des Immobilienmarktes abzuschwächen - ohne dass der Staat selbst aktiv wird. Im Koalitionsvertrag haben wir uns deshalb erfolgreich dafür eingesetzt, das Engagement von Genossenschaften, kommunalen und kirchlichen Wohnungsunternehmen, nicht gewinnorientierten Initiativen und Stiftungen für den Neubau und eine sozialverträgliche Sanierung im Sinne einer Gemeinwohlorientierung zu unterstützen. Unter anderem wollen wir dazu gezielt langfristige Finanzierungen und Bürgschaften über 20 Jahre durch die KfW zur Verfügung stellen. Die SPD ist die Partei der Genossenschaften.