Philipp Rösler (FDP): Lobby bedienen, Bürger belasten

Große Ankündigungen ohne Taten – das war monatelang das Kennzeichen von Gesundheitsminister Rösler. Mit den Vorschusslorbeeren des jungen FDP-Hoffnungsträgers gestartet, verband Rösler seinen Verbleib im Amt mit der Durchsetzung eines fundamentalen Systemwechsels bei der Gesundheitsversorgung. Wenn das nicht gelinge, dann wolle ihn keiner mehr haben, sagte er. Er versprach ein robustes Gesundheitssystem, „das nicht alle zwei drei Jahre reformiert werden muss”. Es sollte besser und dabei nicht teurer werden. „Die Versicherten“, versprach Rösler, „werden keine höheren Beiträge zahlen”. Jetzt wird offenkundig, dass Rösler nach knapp einem Jahr im Amt fundamental gescheitert ist. Von der großen Reform, die eine Regierungskommission bestehend aus dem halben Kabinett beriet, über die ein Koalitionsgipfel nach dem anderen ergebnislos sprach, ist die Anhebung von Beitragssätzen und Zusatzprämien, ohne automatischen Sozialausgleich, geblieben. Rösler hat doppelt gelogen: Das FDP-Wahlversprechen „mehr Netto vom Brutto” ist als Nettolüge entblößt, denn die Gesundheitspolitik von Schwarz-Gelb kommt die meisten Menschen teuer zu stehen. Und: Ein steuerfinanzierter Sozialausgleich, der diesen Namen verdient, wird nicht kommen. Das Gesundheitssystem wird für 70 Millionen gesetzlich Versicherte keinen Deut besser, dafür aber massiv ungerechter und teurer. Wenn Rösler sich an sein eigenes Wort hielte, müsste er zurücktreten.

 

Brutalstmögliche Klientelpolitik, Lobbyisten an der Macht

Philipp Rösler hat sich nur um eines verdient gemacht: Der FDP-Gesundheitsminister ist zum brutalstmöglichen Klientelpolitiker der Republik avanciert. In der gesamten Geschichte unseres solidarischen Gesundheitssystems hat es noch nie zuvor einen so beispiellosen Siegeszug der Pharma- und PKV-Lobbyisten gegeben. Zuerst hat Rösler monatelang Zeit geschunden. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind derweil um sechs Milliarden Euro gestiegen – und zwar bei unveränderten Leistungen. Der Minister hat drohende Kasseninsolvenzen und höhere Zusatzbeiträge bewusst in Kauf genommen. Anstatt untätig zuzusehen, wie sich die Klientel aus Ärzten, Apothekern und Pharmakonzernen munter am GKV-Topf bedienen, hätte Schwarz-Gelb bereits Ende 2009 die Kostenbremse ziehen müssen. Viel zu spät und nur auf Druck von Opposition, Gewerkschaften und Medien hat sich Rösler den Ausgaben zugewandt und halbherzige Sparvorschläge für den Arzneimittelbereich vorgelegt. Aber auch die werden auf Druck der Lobbyisten wieder revidiert. Handstreichartig haben Pharmakonzerne und Private Krankensicherung ihre Interessen durchgesetzt:

  • Rösler lügt, wenn er verspricht, das Preismonopol der Arzneimittelhersteller durchbrechen zu wollen. Fakt ist: Die Nutzenbewertung neuer Arzneimittel – Herzstück der Reform – soll er jetzt selbst per Rechtsverordnung festlegen. Die eigentlich zuständigen Kontrolleure, der Gemeinsame Bundesausschuss der Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) werden zur lahmen Ente degradiert. Wir erinnern uns: Peter Sawicki, bei der Pharma-Lobby verhasst, wurde als IQWIG-Leiter von Rösler entlassen. Aber auch dessen Nachfolger Jürgen Windeler protestiert nun heftig. Kein Wunder, denn Schwarz-Gelb plant die Entmachtung jeder unabhängigen Prüfinstanz. Die Formulierungen dafür hat die Koalition gleich wörtlich von den Lobbyisten des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) abgeschrieben. Und: Rabattverträge zwischen Kassenkooperationen und Arzneimittelherstellern sollen per Kartellrecht blockiert werden. Mehrkosten für die GKV: 500 Millionen Euro.
     

  • Rösler lügt, wenn er sich als Interessenwahrer aller Krankenversicherten bezeichnet. Fakt ist: Zuerst hat der Minister mit Christian Weber, vormals Vize-Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherungen, einen PKV-Lobbyisten ins Ministerium geholt und ihm die Zuständigkeit für Grundsatzfragen der Gesundheitsreform gegeben. Jetzt macht sich der Mann für seine Klientel bezahlt: Die Gesetzlichen Kassen sollen keine Zusatzleistungen mehr anbieten dürfen. Gewinn für die Privaten Versicherer 250 Millionen Euro. Die Frist für den Wechsel von Gutverdienern von der GKV zur PKV soll ab Januar von drei Jahren auf ein Jahr herabgesetzt werden. Lukrativ für die Privatversicherer. Verluste für die GKV: 400 Millionen Euro.

Wer aber zahlt für die milliardenschweren Geschenke? Die Zeche – so will es Rösler – sollen am Ende vor allem die gesetzlich Versicherten zahlen. Denn die Zusatzprämien, die den Einstieg in die Kopfpauschale bringen, sollen in Zukunft die Kostendynamik im Gesundheitswesen auffangen.

  

Gesundheitsreform? Das Projekt soziale Spaltung

Minister und Koalition verkaufen jetzt die Erhöhung des Beitragssatzes von 14,9 Prozent auf 15,5 Prozent als Gesundheitsreform. Davon zahlen die Arbeitnehmer/innen künftig 8,2 Prozent und die Arbeitgeber 7,3 Prozent. Für diese Operation hätte eine schlichte Verordnung durch die Bundesregierung ausgereicht. Zusätzlich will Rösler den Arbeitgeberbeitrag einfrieren. Zusatzbeiträge der gesetzlich Versicherten hingegen sollen unbegrenzt möglich werden. Weil für den sogenannten Sozialausgleich der tatsächliche Zusatzbeitrag der zuständigen Krankenkasse gar nicht berücksichtigt wird, müssen die Versicherten auch voll zahlen. Das ist der Weg in die Kopfpauschale, ohne Sozialausgleich. Mit der Aufgabe der paritätischen Finanzierung der Gesundheitskosten ruiniert der Minister den Zusammenhalt der Sozialpartner. Warum soll in Zukunft die gewichtige Arbeitgeberlobby noch Druck gegen steigende Kosten im Gesundheitssystem aufrecht erhalten. Es wird dazu kommen, dass die mächtige Pharmalobby einzig auf Kosten der Versicherten höhere Renditen einfahren wird - bezahlen dafür wird der ganz normale Arbeitnehmer. Alle künftigen Steigerungen der Gesundheitskosten bleiben allein bei den Versicherten hängen. Insbesondere Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sowie Rentnerinnen und Rentner zahlen die Zeche von Herrn Rösler.

Wir fordern: Die Zusatzbeiträge müssen abgeschafft werden. Die unsoziale Kopfpauschale muss verhindert werden. Es muss eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung geben, bei der Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte die Beiträge zahlen. Der Beitragssatzanteil von 0,9 Prozentpunkten, der von den Mitgliedern alleine zu tragen ist, muss daher gestrichen werden. Die Kassen sollen in Zukunft über die Höhe der Beitragssätze wieder selber entscheiden können.

 

Sozialausgleich? Bürokratiemonstrum und Betrug von Geringverdienern

Das Bundesversicherungsamt (BVA) soll jedes Jahr anhand des Kassendefizits eine durchschnittliche Kopfpauschale berechnen. Übersteigt diese vom BVA festgelegte Kopfpauschale zwei Prozent des individuellen sozialversicherungspflichtigen Einkommens, wird sie angeblich sozial ausgeglichen. Erster Pferdefuß: Erhebt eine Kasse eine höhere Kopfpauschale als die vom BVA berechnete, muss der/die Versicherte auch noch diesen Mehrbetrag alleine und ohne jeden Ausgleich bezahlen. Zweiter Pferdefuß: Umsetzen sollen den Röslerschen Pseudo-Sozialausgleich Arbeitgeber und Rentenversicherung. Sie sollen nach Prüfung jedes Einzelfalls gegebenenfalls abgesenkte Arbeitnehmerbeiträge Richtung Gesundheitsfonds weiterleiten. Wie diese Prozedur z. B. bei Arbeitnehmer/innen mit schwankenden Einkommen, Rentner/innen mit verschiedenen Alterseinkünften oder Selbständigen funktionieren soll, bleibt im Nebel. Die reduzierten Arbeitnehmerbeiträge sollen bis 2014 aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds ausgeglichen werden. Dafür seien laut Minister Rösler, man staune, zunächst keine zusätzlichen Steuermittel erforderlich. Erst 2014 soll darüber entschieden werden, wie viel Bundesmittel ab 2015 in den sogenannten Sozialausgleich fließen. Hier werden augenscheinlich unpopuläre Entscheidungen der nächsten Bundesregierung überlassen. Bundesfinanzminister Schäuble weigert sich jedenfalls standhaft, seine Sparbemühungen durch Röslers Schnapsideen zerstören zu lassen. Auf jeden Fall wird durch dieses höchst komplizierte, fehler- und missbrauchsanfällige Verfahren ein aberwitziger Verwaltungsaufwand erzeugt. Die Folgen sind: Mehr Bürokratie und weniger Mittel für die Versorgung der Patientinnen und Patienten.

Wir fordern: Dieser sogenannte Sozialausgleich ist kompliziert, missbrauchsanfällig, wirkungslos. Fazit: Ein politischer Betrug derer, die Entlastung brauchen und auf Ausgleich hoffen. Ohne Kopfpauschale brauchen wir auch keinen neuen Sozialausgleich, weil bei einem prozentualen Beitragssatz jeder nach seiner Leistungsfähigkeit bezahlt.

 

  

Begrenzung der Arzneimittelausgaben? Augenwischerei mit Vorsatz  

Rösler selbst hat Einsparungen im Arzneimittelbereich als oberstes Ziel ausgegeben. Die zwei Milliarden Euro, die er mit dem neuen Modell der Nutzenbewertung einsparen will, sind aber eine reine Phantasiesumme. Denn im ersten Jahr nach der Zulassung können die pharmazeutischen Hersteller die Preise für Arzneimittel mit nachgewiesenem Zusatznutzen weiter völlig frei festsetzen. Auf der Grundlage dieser Mondpreise sollen dann Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband über einen Erstattungspreis stattfinden. Die Hersteller wären dumm, wenn sie ihren Aufwand für zusätzliche Studien, die für die Nutzenbewertung nötig sind, und die zu erwartenden Rabatte nicht im Einstiegspreis berücksichtigen würden. Damit steigen die Preise im ersten Jahr sogar. Am Ende aller Verhandlungen wird dann im günstigsten Fall ein heute bereits üblicher Preis stehen. Billiger werden neue Arzneimittel so jedenfalls nicht.

Wir fordern: Die SPD fordert, dass bei neuen Arzneimitteln vom Markteintritt an ein Höchstpreis gilt, der vom Gemeinsamen Bundesausschuss auf Basis einer Empfehlung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) festgelegt wird. Grundsätzlich sollen sich die Arzneimittelpreise in Deutschland nach den europäischen Durchschnittspreisen richten. Es ist ein ordnungspolitischer Schildbürgerstreich, dass auf dem größten Arzneimittelmarkt die höchsten Preise gezahlt werden.

 

„Mehrkostenregelung“? Aushebelung des Solidargedankens

Völlig inakzeptabel ist die Einführung einer Mehrkostenregelung bei den Rabattverträgen. Damit sollen Patienten andere Arzneimittel wählen können als jene, über die ihre Krankenkasse Rabattverträge geschlossen hat. Die Mehrkosten müssen die Patienten selbst zahlen. Mit dieser Regelung kann Patienten leicht Geld aus der Tasche gezogen werden: Sie suggeriert, rabattierte Arzneimittel seien schlechter als andere - was nicht zutrifft. Die Regelung bestellt das Feld für ein anderes Vorhaben der Regierung: Die generelle Einführung von Mehrkostenregelungen. Dies wäre der Einstieg in ein System von Grund- und Wahlleistungen, mit dem sowohl das Solidar- und Bedarfsprinzip als auch das Sachleistungsprinzip ausgehebelt würden. Außerdem wird mit der Mehrkostenregelung die Grundlage für die Rabattverträge zerstört. Die Kassen können den Pharmaunternehmen keine Absatzmengen mehr garantieren, weil sie nicht wissen können, ob sich die Patienten für die rabattierten Arzneimittel entscheiden oder andere wählen. Damit werden auch die Einsparungen durch die Rabattverträge aufs Spiel gesetzt.

Wir fordern: Die Mehrkostenregelung bei den Rabattverträgen muss zurück genommen werden.

 

Hausärztversorgung? Kürzungen am falschen Ende

Gesundheitsminister Rösler ist dabei, einen folgenschweren Fehler zu machen. Seine Pläne sehen vor, dass ausgerechnet bei der hausärztlichen Versorgung 500 Millionen Euro eingespart werden sollen. Damit verschärft er den Mangel an Hausärzten, von dem in Zukunft immer mehr Menschen in ländlichen Gebieten betroffen sein werden. Das ist eine besonders teure Fehlentwicklung, denn Hausärzte sind diejenigen, die verstärkt die Vorbeugemedizin anbieten könnten, weil sie oft ihre Patienten über lange Zeiträume hinweg versorgen. Angesichts der zunehmenden Zahl an chronisch Kranken ist jetzt schon klar erkennbar, dass nur durch eine Stärkung der Hausärzte die Wirtschaftlichkeit und Qualität unseres Gesundheitssystems langfristig gesichert werden kann. Doch anstatt die Hausärzte zu stärken und den Beruf wieder attraktiver zu machen, setzt der abgebrochene Facharzt Rösler die Axt an die Hausarztverträge.

Wir fordern: Die SPD hat mit den Hausarztverträgen die Möglichkeit geschaffen, dass Hausärzte besser bezahlt werden können. Natürlich muss auch nachgewiesen werden, dass sich das lohnt, z. B. durch weniger Arzneimittelverordnungen, weniger Operationen oder gesündere Patienten. Wir müssen außerdem durch gezielte Förderprogramme dafür sorgen, dass der hausärztliche Nachwuchs gesichert wird. Auch die Arbeitsbedingungen der Hausärzte müssen verbessert werden.