FR: Herr Steinmeier, wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen für eine rot-rot-grüne Koalition im Bund?

Steinmeier: (lacht): Die Einstiegsfrage gefällt mir!

FR: Kanzlerin Angela Merkel hat gerade erklärt, ein solches Bündnis entspräche den „wahren Absichten“ der Opposition.

Steinmeier: Das ist nicht der einzige Punkt, bei dem ich den Eindruck habe, dass Frau Merkel nicht versteht, was im Augenblick in Deutschland politisch passiert. Richtig ist nur eins: Spätestens 2013 werden die Deutschen eine Fortsetzung dieser katastrophalen Regierung verweigern.

FR: Und dann?

Steinmeier: SPD und Grüne bereiten sich auf die Regierungsverantwortung vor – in Konkurrenz, aber strategischer Partnerschaft für neue Mehrheiten. Die Linkspartei unter der Führung von Herrn Ernst und Frau Lötzsch hat ihren Zenit überschritten; in den westlichen Bundesländern schrumpfen sie. Wer zurück will zum Kommunismus, der wird es in Deutschland schwer haben Partner für seine Politik zu finden. Und die SPD wird es ganz sicher nicht sein, wenn sich die alten Kader bei der Linkspartei durchsetzen.

FR: Was macht Sie so sicher, dass Schwarz-Gelb sich nicht erholt?

Steinmeier: Nach 15 Monaten hat diese Regierung sich selbst zermürbt. Sie ist ein Trümmerhaufen, der mich an die Kohl-Regierung in ihrer Endphase 1996 bis 1998 erinnert: Damals wie heute ist Schwarz-Gelb nur noch mit sich selbst beschäftigt und bewegt nichts nach vorn. Die FDP ist mit falschen Versprechungen in eine Regierung gekommen, auf die sie nie vorbereitet war. Nun ersetzt sie Verantwortung durch oppositionelles Gehabe. Der tägliche Kleinkrieg aller Beteiligten gegeneinander stößt die Menschen nur noch ab.

FR: Immerhin haben sich Union und FDP auf eine Steuervereinfachung geeinigt.

Steinmeier: Ich bitte Sie! Es wäre mir anstelle der FDP peinlich, dies als Erfolg zu verkaufen, wenn ich vorher den Mund so voll genommen hätte. Das ist doch für den Bürger weniger, als die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge, die er seit Jahresanfang zahlt. Dieser ganze Streit war von vorneherein inszeniert, um uns glauben zu machen, dass die FDP sich gegen einen störrischen Finanzminister durchsetzt. Jedem war klar, dass Merkel für 330 Millionen Euro keinen Koalitionsbruch riskiert. Da, wo wirklich gestritten wird – über Europa, über den Rückzug aus Afghanistan, über Innen- und Sicherheitspolitik – geht alles so weiter wie bisher.

FR: Mit dieser Koalition verhandeln Sie im Vermittlungsausschuss über die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Überarbeitung von Hartz IV. Aber irgendwie geht es nicht voran.

Steinmeier: Meine Linie in der Opposition ist und bleibt: Mit aller Härte das zu kritisieren, was in der Regierungsarbeit kritikwürdig ist. Glaubwürdigkeit bedeutet für mich aber auch, nicht Opposition um ihrer selbst willen zu machen.Uns geht es darum, im Vermittlungsausschuss konkret etwas für die Menschen zu verbessern. Wir wollen, dass die Leistungen für Hartz-IV-Empfänger verfassungsfest verbessert werden, wir wollen eine bessere Ausstattung der Schulen, damit Kinder mehr Chancen im Leben haben, und wir wollen, dass sich etwas beim Mindestlohn bewegt. Leider sind die Verhandlungen mit einer Koalition, die sich selbst untereinander nicht einig ist, sehr schwierig. Unsere Ansage ist klar: Wenn sich nichts bewegt, müssen wir ablehnen.

FR: Welche der vielen SPD-Forderungen hat für Sie denn Priorität?

Steinmeier: Das Gesamtpaket muss stimmen. Und es ist klüger, darüber mit der Regierung und nicht mit den Medien zu verhandeln.

FR: Müssen die Regelsätze für Langzeitarbeitslose steigen?

Steinmeier: Die Leistungen für Hartz-IV-Empfänger sind einer von den drei zentralen Körben in den Vermittlungsgesprächen. Auch hier wird sich die Regierung bewegen müssen, wenn das Ganze nicht wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen soll.

FR: Reicht Ihnen beim Mindestlohn eine Regelung für die Zeitarbeits-Branche?

Steinmeier: Beim Mindestlohn verlangen wir Entgegenkommen in der Substanz und keine bloßen Überschriften. Wer wie die FDP gleiche Bezahlung für Leiharbeiter erst nach zwölf Monaten bietet, nimmt weder unsere Forderungen, noch die Betroffenen ernst. Die Regierungsparteien wissen genau, dass gerade einmal die Hälfte der Leiharbeiter länger als drei Monate in einem Betrieb ist.

FR: Warum will Ihre Fraktion der Verlängerung des Afghanistan-Mandats zustimmen?

Steinmeier: Wichtig war uns das, was wir vor einem Jahr festgelegt haben: Keine Erhöhung der Kampftruppen, eine Verdoppelung der Mittel für den zivilen Wiederaufbau, verstärkte Anstrengungen für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte und eine politische Lösung sowie die Festlegung auf einen verbindlichen Rückzug. Union und FDP haben das als unveranwortlich gegeißelt. Heute – ein Jahr später – ist es auch deren Position. Das wie auch entsprechende Entscheidungen anderer europäischer Länder zeigt mir, dass wir nicht ganz falsch gelegen haben. Auch wenn sich Außenminister und Verteidigungsminister noch streiten  - der Beginn des Rückzugs der Bundeswehr im Jahr 2011 steht im Mandatstext. Darauf kommt es an.

FR: Aber die zeitliche Festlegung ist doch wachsweich: Der Abzug soll nur beginnen, wenn es die Sicherheitslage zulässt.

Steinmeier: Steinmeier: Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Die Regierung muss jetzt  belegen, dass sie beruhigte Regionen in Afghanistan tatsächlich in afghanische Verantwortung zurücklegt und damit die Voraussetzungen dafür schafft, dass zum Ende des Jahres der Rückzug  beginnt. Nur dann wird das Engagement Deutschlands in Afghanistan auch bei der nächsten Mandatsverlängerung im Januar 2012 von einer breiten Mehrheit im Bundestag getragen werden.

FR: Hilft die Festlegung auf einen Abzugstermin auch den Afghanen?

Steinmeier: Ja, selbst die Militärs in der Nato sind inzwischen dieser Auffassung. Die afghanische Regierung ist es auch. Mit dem Beginn des Rückzugs 2011 entsteht eine Übergangsphase, an deren Ende die afghanische Regierung selbst die Verantwortung für das eigene Land übernehmen will und muss. Dafür fordern wir bis zur Afghanistankonferenz Ende 2011 einen verbindlichen Rückzugsplan für die Bundeswehr von der Bundesregierung.

FR: Als Außenminister waren Sie selbst aber noch gegen einen Zeitplan für den Abzug.

Steinmeier: Falsch. Ich war gegen einen isolierten deutschen Rückzug. Ich habe immer gesagt: Wir sind gemeinsam mit den Verbündeten rein gegangen, wir gehen auch nur gemeinsam raus.  Genau das muss geschehen.