Wie in unserem Blogpost von 05. Dezember angekündigt, haben wir das Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit zu einem Schwerpunkt der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss zum zweiten Datenschutzanpassungs- und Umsetzungsgesetz gemacht. Die Anhörung hat unserer Auffassung nach in aller Deutlichkeit bestätigt: Nicht nur aufseiten der Länder, auch aufseiten des Bundes besteht in diesem Zusammenhang dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Art. 85 der Datenschutzgrundverordnung verpflichtet die Mitgliedsländer, das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf Meinungsfreiheit in Einklang zu bringen. Ohne eine solche Regelung besteht die Gefahr, dass das Datenschutzrecht gegen die Meinungsfreiheit instrumentalisiert wird, um missliebige Meinungsäußerungen zu unterbinden. Auch für den einfachen Nutzer bleibt die Unwägbarkeit, sich bei der Ausübung der Meinungsfreiheit dem gesamten Pflichtenkatalog der DSVGO gegenüber zu sehen, ein ernsthaftes Hindernis für seine freie Meinungsäußerung. Auch der von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige Dr. Malte Engeler hat deutlich gemacht, dass die „Dringlichkeit einer Umsetzung von Artikel 85 gar nicht hoch genug bewertet werden“ kann, da „Meinungsfreiheit und Datenschutz notgedrungen dort kollidieren, wo Menschen im digitalen Raum Gebrauch von ihrer Meinungsfreiheit machen.“ Für den Medienbereich haben die Bundesländer bereits Regelungen in ihrem Kompetenzbereich geschaffen. Doch mit Blick auf Meinungs- und Informationsfreiheit, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und für jeden Einzelnen ist auch der Bund in der Pflicht. Daher ist es aus unserer Sicht dringend geboten, auch auf bundesgesetzlicher Ebene im Sinne des Art. 85 tätig zu werden und Datenschutz und Meinungsfreiheit in Einklang zu bringen. Die bisherige Rechtsprechung in Deutschland hat diesen Ausgleich durch differenzierte Entscheidungen im Einzelfall gewährleistet und sollte weiterhin als Maßstab gelten. Hierfür bedarf es aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion einer neuen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu Zwecken der Meinungsäußerung, die eine Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten eröffnet, ohne einem den grundsätzlichen Vorrang einzuräumen. Datenverarbeitung zur Ausübung der Meinungsfreiheit sollte zulässig sein, sofern nicht die Interessen und Grundrechte der betroffenen Personen überwiegen, die den Schutz personenbezogener Daten betreffen. Neben der Schaffung einer Rechtsgrundlage ist zudem eine Anpassung der Betroffenenrechte sowie der übrigen datenschutzrechtlichen Nebenpflichten und behördlichen Kontrollmöglichkeiten der Kapitel zwei bis neun der Datenschutz-Grundverordnung notwendig, um eine mögliche Selbstbeschränkung bei der Ausübung der Meinungsfreiheit (chilling effect) zu verhindern. Zur konkreten Ausgestaltung von Art. 85 schlagen wir daher folgenden Regelungsvorschlag für einen neuen § 27a BDSG-neu vor:
- 27a BDSG-neu – Datenverarbeitung zu Zwecken der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
(1) Eine Verarbeitung personenbezogener Daten ist zulässig, sofern sie zu Zwecken des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken stattfindet und die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen am Schutz ihrer personenbezogenen Daten nicht überwiegen. (2) Spezielle Regelungen des Bundes- und Landesrechts zur Zulässigkeit der Verarbeitung zu den in Art. 85 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Zwecken der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie der Verarbeitung zu wissenschaftlichen, künstlerischen, journalistischen oder literarischen Zwecken, einschließlich der Veröffentlichung, bleiben unberührt. (3) Die Rechte der Betroffenen des Abschnitt II bis IX der Verordnung (EU) 2016/679 gelten nur, sofern sie unter Abwägung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu wissenschaftlichen, künstlerischen, journalistischen oder literarischen Zwecken angemessen sind. Satz 1 gilt nicht für Artikel xx, xx, xx. (4) Führt die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Absatz 1 zur Verbreitung von Gegendarstellungen der betroffenen Person oder zu Verpflichtungserklärungen, Gerichtsentscheidungen über die Unterlassung der Verbreitung oder über den Widerruf des Inhalts der Daten, so sind diese Gegendarstellungen, Verpflichtungserklärungen, Gerichtsentscheidungen und Widerrufe zu den gespeicherten Daten zu nehmen und dort für dieselbe Zeitdauer aufzubewahren, wie die Daten selbst sowie bei einer Offenlegung der Daten gemeinsam offenzulegen. Wir prüfen derzeit bei Absatz 3 im Detail, welche Betroffenenrechte im Einzelnen auszunehmen bzw. anzupassen sind, um eine mögliche Selbstbeschränkung bei der Ausübung der Meinungsfreiheit (chilling effect) zu verhindern. Auch wenn die Entlastung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie Vereinen und ehrenamtlich Tätigen grundsätzlich ein unterstützenswertes Ziel ist, stimmen wir mit den zahlreichen Sachverständigen überein, die eine Erhöhung des Schwellenwertes bei der Bestellpflicht für nicht sinnvoll halten. Das System betrieblicher Datenschutzbeauftragter hat sich in Deutschland über Jahrzehnte bewährt. Wenn weniger Unternehmen betriebliche Datenschutzbeauftragte bestellen müssen, wird das nicht zu der erhofften Entlastung führen. Denn auch wenn kein Datenschutzbeauftragter bestellt werden muss, sind die datenschutzrechtlichen Vorgaben einzuhalten. Ohne die sach- und fachkundige Unterstützung von Datenschutzbeauftragten ist dies für die verantwortlichen Stellen nicht leichter zu gewährleisten. Vereinzelt wurde in der Anhörung diskutiert, ob eine Herausnahme des Datenschutzrechts aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sinnvoll wäre. Die große Mehrheit der Sachverständigen lehnte dies nicht nur aus überzeugenden inhaltlichen Gründen ab, sondern auch, weil derzeit im für das UWG federführenden Bundeministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ein Gesetzentwurf zur Reform des Abmahnwesens finalisiert wird. Wir sehen hier, ebenso wie die Sachverständigen, keinen Grund für eine Regelung im 2. Datenschutzanpassungsgesetz.