Zuletzt hatte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion öffentlich noch einmal erklärt, dass unsere Fraktion diesem Gesetz zustimmen wird – nicht weil wir der Kanzlerin beistehen wollen, sondern aus Verantwortung gegenüber Europa. Oppermann: „Es wäre nicht verantwortlich, jetzt einfach den kurzfristigen Vorteil der Opposition zu suchen, die Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. Wir fühlen uns für Europa und für den Euro verantwortlich, und deshalb werden wir zustimmen, auch wenn der Rettungsschirm in der jetzigen Form nur ein notwendiges Instrumentarium bereitstellt, aber keineswegs das Problem insgesamt lösen kann.“

In der Debatte vor der Abstimmung über die Erweiterung der EFSF (Europäische Finanzstabilitätsfazilität) griff der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück, der für die SPD-Fraktion sprach, die Bundesregierung scharf an und bescheinigte ihr in weiten Teilen Konzeptlosigkeit. Zunächst erklärte er aber – durchaus auch selbstkritisch –, dass die Politik die Menschen mit technischen Begriffen über Europa geflutet habe, aber keine Erzählung geliefert habe, was Europa eigentlich ist und ausmacht und warum es sich lohnt, in Europas Zukunft zu investieren. Diese Themen seien „verdunkelt“ worden. Nicht zuletzt deshalb gebe es viele Ressentiments gegen den Euro und die Europäische Union. Doch statt den Menschen Europa zu erklären, wie es Aufgabe einer Bundesregierung sei, habe diese Koalition laviert und Volten geschlagen und „deutschtümelnde Volkslieder angestimmt, nicht nur im Sauerland“. Diese klaffenden Risse seien unübersehbar.

Peer Steinbrück spricht für die SPD-Fraktion in der Debatte um die EFSF-Erweiterung:

Steinbrück begründete, wo die Stärken Europas liegen: Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatsprinzip, Pressefreiheit, kulrturelle Vielfalt, Frieden. „Wir leben in einem privilegierten Ausnahmezustand“, sagte Steinbrück. Und wenn das auch so bleiben solle, dann gehe es nur gemeinsam mit den anderen Ländern, allein könne Deutschland nichts erreichen. Wir müssten einen „Beitrag leisten“. Denn, so Steinbrück: „Scheitert der Euro, werden wir in Europa um 20 Jahre zurückgeworfen“. Würden also die Hilfen für den Patienten Griechenland abgewürgt, lande dieser auf der Intensivstation und käme nicht mehr auf die Beine. Aus dieser übergeordneten Verantwortung heraus stimme die SPD für die Gesetzesänderung. Allerdings seien diese Schritte zur Stabilisierung der Eurozone notwendig, aber nicht hinreichend.

Wie hilflos die Koalition sei, zeige sich schon daran, dass sie verzweifelt versuche, auf angebliche Versäumnisse der SPD in deren Regierungszeit hinzuweisen. Das allerdings verfange nicht – genauso wie der euroskeptische Kurs der irrlichternden FDP.

Banken immunisieren sich gern mit "too big too fail"

Was wirklich vonnöten sei, sei zum Beispiel eine Regelung zur geordneten Abwicklung von Banken. Denn „die Banken immunisieren sich gern mit dem Argument, sie seien zu bedeutsam für das System, um sie pleite gehen zu lassen“, sagte Steinbrück. Auf neudeutsch heißt das too big too fail.

Vonnöten sei endlich auch eine Finanztransaktionssteuer, und zwar zunächst mit dem Konvoi der Länder, die diese Umsatzsteuer auf Börsengeschäfte auch wollen. Ebenso müssen Steuerbetrug besser bekämpft und eine einvernehmliche, verbindliche Regulierung der Finanzmärkte geschaffen werden. „Es kann nicht sein, dass Haftung und Risiko so auseinanderfallen“, sagte Steinbrück. „Verluste werden sozialisiert und Gewinne privatisiert“. Durch so etwas, konstatierte Steinbrück, erscheine die Politik nur noch als Getriebene. Steinbrück: „Die ideologischen Folgen sind im Grunde schlimmer als die ökonomischen“. Die Ideale der Demokratie würden erschüttert durch solche Exzesse. Im Hinblick darauf erscheine das eindimensionale Programm der FDP – Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen – anachronistisch. „Zum Glück bewerten das auch die Wähler so“, sagte Steinbrück.

Die Koalition habe nicht die Kraft zu der Erkenntnis, dass durch ihr Verhalten eine soziale Spaltung drohe. Ihr fehle Vertrauen, Konsistenz, Erkennbarkeit. Steinbrück: „Wir sind beim chinesischen Kalender im Jahr des Hasen – das vermittelt auch die deutsche Bundesregierung“.

Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, sekundierte, dass Finanzminister Schäuble noch immer nicht offengelegt habe, was genau er beim IWF in Washington sagte und hörte. Durch solch eine Salamitaktik verschärfe sich die Krise nur. Außerdem: „Wir beschließen hier heute im Deutschen Bundestag das Gegenteil von dem, was Sie vor eineinhalb Jahren gesagt haben. Hätten wir das schon vor einem Jahr getan, wäre es mit Ländern wie Italien womöglich gar nicht soweit gekommen.“

Die SPD-Fraktion hat zu dem Gesetzentwurf der Koalition einen Entschließungsantrag vorgelegt, der die Rettungsinstrumente weiter präzisiert:

  • So soll kein Finanzprodukt mehr ohne Regulierung und Aufsicht sein.
  • Die Vorschläge der EU-Kommission zur Verbesserung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der Einführung des europäischen Semesters, eines Frühwarnsystems für systemische Krisen und weitere tiefere Integrationsschritte sind der richtige Weg, reichen aber noch nicht aus.
  • Risiko und Haftung etwa müssen durch klare Gläubigerbeteiligung im Fall von Solvenzproblemen von Staaten geregelt, eine Finanztransaktionssteuer eingeführt und der Finanzsektor an den Wachstumsprogrammen beteiligt werden. Diese Einnahmen können für Wachstumsimpulse verwendet werden.
  • Wirtschaftlich schwache Regionen in Europa müssen besser gefördert werden. Dazu muss der Mittelabfluss der bestehenden europäischen Strukturhilfemittel vereinfacht werden. Diese Schritte sind degressiv auszugestalten.
  • Flächendeckende Mindestlöhne müssen eingeführt werden, orientiert am Pro-Kopf-Einkommen des jeweiligen Staates.
  • Die Unternehmensteuer muss harmonisiert werden.
  • Die Sanierung eines überschuldeten Haushaltes darf nicht nur von den Steuerzahlern getragen werden.
  • Erforderlich ist schließlich ein Verbot schädlicher Finanzmarktgeschäfte mit Derivaten und Leerverkäufen und des spekulativen Handels mit Kreditausfallversichrungen. Emittenten von solchen Versicherungen müssen sie künftig mit entsprechendem Eigenkapital unterlegen.
  • Aufsichtbehörden sind enstprechend mit weitergehenden Kompetenzen auszustatten. Kreditinstitute müssen diesen Behörden frühzeitig melden, in welcher Höhe sie Verbindlichkeiten halten bzw. bei Notenbaken hinterlegt haben.

Unsere Botschaft:

Unsere Botschaft lautet also zusammengefasst: Wir stehen zu unserer europäischen Verantwortung. Wir halten die Ergänzungen der EFSF für dringend nötig, fordern jedoch zusätzlich weitergehende Maßnahmen, um Europa aus der Krise zu führen. Außerdem wollen wir die parlamentarischen Mitwirkungsrechte differenzierter ausgestalten.

Im Haushaltsausschuss haben wir dahingeheend diese Woche einen Efolg zu verbuchen, weil wir erreicht haben, dass das neunköpfige Sondergremium, das künftig über EFSF-Maßnahmen entscheidet, nach der Geheimhaltungsphase das Parlament informieren muss und politische Fragen so diskutiert werden können. Außerdem wählt nun der gesamte Bundestag die Mitglieder des Gremiums, nicht nur der Haushaltsausschuss. Mit anderen Worten: Nichts geht ohne den Deutschen Bundestag.

Gleichwohl wurde unser Entschließungsantrag von den übrigen Fraktionen mit Ausnahme der Grünen am Donnerstag abgelehnt. Der Antrag der Koalitionsfraktionen wurde mit großer Mehrheit vom Parlament gebilligt. Zu diesem Ergebnis sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann: "Die Angst vor dem Machtverlust hat die Reihen in der Koalition noch einmal geschlossen". Aber, so Oppermann: "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Diese Koalition wird in den kommenden Monaten noch mehrfach eine Kanzlermehrheit aufbringen müssen." Die Kanzlerin habe noch schwere Zeiten vor sich. Das Abstimmungsergebnis "verdeckt die inneren Widersprüche in dieser Koalition".