Ein bayerischer Ministerpräsident Christian Ude wäre ...?

Frank-Walter Steinmeier: Ein Gewinn für Bayern. Ich freue mich, dass er bereit ist, zu kandidieren.

Ein SPD-Kanzlerkandidat mit dem Namensbeginn Stein- wäre ... ?

Steinmeier: eine mögliche Variante.

Eher Steinmeier oder Steinbrück?

Steinmeier: Sigmar Gabriel hat als Parteivorsitzender den ersten Zugriff und das Vorschlagsrecht. Und sie können sich darauf verlassen: Wir werden es mitteilen, wenn die Entscheidung gefallen ist.

Die Halbzeitbilanz von Schwarz-Gelb ist ...?

Steinmeier: Katastrophal. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass eine Bundesregierung zur Halbzeit jemals so schlecht bewertet worden ist.

Was macht die Regierung so schlecht?

Steinmeier: Das Kabinett ist nicht in der Regierungsverantwortung angekommen. Schon die Koalititonsvereinbarung war ohne Linie und ohne Orientierung. Bis heute weiß die Regierung doch nicht, was man gemeinsam miteinander will. Und so ist man ins erste Regierungsjahr gestolpert ohne gemeinsamen Kompass. Aus dem Wahlversprechender Steuersenkungen ist die skurrile Hotelierssteuer geworden. Für alle anderen hat sich das Versprechen „Mehr Netto vom Brutto“ ins Gegenteil verkehrt.  Aber das, was die Menschen im Regierungsstil am meisten stört, ist das tägliche Gegeneinander. Das Gefühl, dass sich die Beteiligten nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen.

Mal unabhängig von Stilfragen: Was ist aktuell das größte Versäumnis der schwarz-gelben Regierung?

Steinmeier: Es gibt schwerwiegende Fehlentscheidungen aus der Vergangenheit, wie die einer Neuorientierung der Krankenversicherung, die die ganze Last zukünftiger Kostensteigerungen nur noch den Versicherten auferlegt. Der Beitragsstopp für die Arbeitgeber war ein Grundfehler. Jetzt ist es die Verantwortungslosigkeit in der Europapolitik. In einer Phase, in der die Menschen Sorgen haben, um die Stabilität der Währung, überfällt die Bundesregierung die Bevölkerung im Dreimonatstakt mit immer neuen Vorschlägen, die konsequent drei Monate später widerrufen werden. So gibt man jede Glaubwürdigkeit preis. Glaubwürdige Politik ist aber das wichtigste, was wir jetzt brauchen.

Stichwort Vorschläge: Gute Idee, dass Vizekanzler Philipp Rösler eine geordnete Insolvenz Griechenlands zur Rettung des angeschlagenen Euros nicht mehr ausschließt?

Steinmeier: Wir sind in der schwersten Krise der Europäischen Union seit Anbeginn. Es ist eine Krise, bei der die richtigen Antworten nicht eben auf der Hand liegen. Wir verdanken der EU lange Jahrzehnte des Friedens und haben ein dringendes Interesse daran, dass diese Nachbarschaft, auch die südeuropäische Nachbarschaft, wieder stabilisiert wird. Die Äußerungen sind nicht zu verantworten. Ein Vizekanzler der größten Volkswirtschaft in Europa muss wissen, dass er mit solchen Sätzen die Finanzmärkte gefährlich ins Rutschen bringen kann. Wer sich dessen nicht bewusst ist, ist der Verantwortung des Amtes nicht gewachsen und fehl am Platze.

Wenn Sie sich aktuell eine Koalition wünschen könnten – welche wäre das? Große Koalition oder Rot-Grün?

Steinmeier: Die große Koalition liegt hinter uns – und sie wird nicht wiedergeboren. Überhaupt stehen Koalitonsveränderungen nicht an. Neue Mehrheiten wird es erst nach einer Wahl geben.

Sie haben lange Zeit als Vizekanzler mit Kanzlerin Angela Merkel zusammengearbeitet. Wie fällt denn die Bilanz der Kanzlerin derzeit aus?

Steinmeier: Die SPD war elf Jahre in der Regierung, davon vier Jahre in der großen Koalition. Ich bin sicher, Regierungserfahrung und Regierungsverantwortung war wichtig, auch in den gemeinsamen Regierungsjahren mit der CDU/CSU. Erst jetzt wird sichtbar, was dieser Regeriung und der Kanzlerin fehlen. Da ist kein Standpunkt, da ist keine Orientierung. Das ist seit zwei Jahren ein Wechselbad für die eigenen Wähler.

Apropos Standpunkt. Für was steht die SPD derzeit?

Steinmeier: Ganz fest für eine Politik zwischen den beiden Leitplanken sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Vernunft. Wer das vernachlässigt, wird erleben, dass Verhältnisse wie in anderen europäischen Großstädten auch bei uns einkehren. Ich bin mir völlig sicher, dass Demokratie von einem Mindestmaß an sozialer Balance lebt. Und ich streite dafür, dass das bei uns auch wieder begriffen wird.

Hält sich der Ude-Schwung der SPD in Bayern denn bis 2013?

Steinmeier: Bis dahin fließt noch eine Menge Wasser die Isar herunter. Bis dahin haben wir noch ein paar Landtagswahlen wie am nächsten Wochenende in Berlin. Dann haben wir eine ganz spannende Wahl in Schleswig-Holstein, mit einer guten Chance, eine unionsgeführte Regierung aus dem Sattel zu kippen. Und in Bayern ist die CSU sich ja gar nicht mehr so sicher, ob sie die Wahl 2013 vor der Bundestagswahl durchführen will – oder verschiebt. Das zeigt, dass die Verunsicherung auch bei der CSU angekommen ist und dass sie Christian Ude als Herausforderung sehr, sehr ernst nimmt. Mit ihm gibt es die besten Chancen, hier für eine Überraschung zu sorgen.