Von Frank-Walter Steinmeier und Paul van Dyk

Mit der rasanten Digitalisierung verändern sich Zugänge zu Kunst und Kultur. Darauf müssen wir reagieren. Aber für uns ist klar, dass es nur um das "Wie" gehen kann: Wie sollen Künstler entlohnt werden, wenn ihre Ideen schneller als je zuvor kopiert, geteilt und gemixt werden können? Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Uns geht es um das Montieren neuer Verkehrsschilder, die den tatsächlichen, veränderten "Verkehrsfluss" des Kulturkonsums besser leiten können. Das ist dringende Aufgabe der Politik. Eine Aufgabe, die die Bundesregierung bisher verantwortungslos ignoriert. Die Züge der unterschiedlichen Interessen sind auch deshalb so ungebremst aufeinandergeprallt, weil die Verkehrsordnung den neuen Gegebenheiten nicht rechtzeitig angepasst wurde. Wir brauchen neue Verkehrsregeln, damit die Verkehrsordnung, die die Entlohnung von Künstlern sichert, erhalten bleibt.

Damit treten wir denen entgegen, die im Windschatten notwendiger Reformen gleich auch noch "Ob"-Fragen auf die Tagesordnung bringen: Ob Kreativen für ihre Werke überhaupt eine Vergütung zustehe oder kostenloses Kopieren künstlerischer Arbeit nicht vielmehr eine Art Grundrecht sei. Wir halten es mit Sven Regener: Eine Gesellschaft, die so mit künstlerischen Werken umgeht, ist nichts wert. Wir wollen, dass Kunst und Kultur Denkanstöße geben, Routinen aufbrechen, Auszeiten schenken und den Kopf frei machen. Dafür müssen diejenigen von uns, die diese Werke schaffen, anständig bezahlt werden.

Ganz sicher sind die Veränderungen an sich (also die zunehmende Nutzung des Internets in der Entstehung von Kunst, bei ihrem Konsum und ihrer Verbreitung) nichts Schlechtes. Niemand wünscht sich die Zeiten zurück, in denen talentierte junge Musiker jahrelang Probeaufnahmen an mächtige Plattenfirmen versendeten, um endlich wahrgenommen zu werden. Das Internet schafft neue Möglichkeiten, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Es demokratisiert die Produktion und Distribution und lässt neue Quellen der Kommunikation, Inspiration und Kreativität entstehen. Davon profitieren Kreative ebenso wie Konsumenten, die heute mit wenigen Klicks auf vielfältigste Kulturproduktionen aus der ganzen Welt zugreifen können.

Ein Gesellschaftsvertrag zwischen Künstlern und Konsumenten

Und dennoch sind neue Probleme entstanden. Die lassen sich nicht einfach wegideologisieren, wie manche Netzapologeten es versuchen. Das Urheberrecht wird tatsächlich jeden Tag aufs Neue tausendfach verletzt. Das kann so nicht bleiben. Wir brauchen eine neue Übereinkunft über den Wert von Kreativität. Wir brauchen einen Gesellschaftsvertrag zwischen Künstlern und Konsumenten. Einen Konsens über die Rechte und Pflichten, über das Geben und Nehmen. Oder, im Rousseauschen Sinn, über den Verzicht auf die natürliche Freiheit, um eine auf Übereinkommen ruhende Freiheit zu gewinnen.

Ein solcher Gesellschaftsvertrag fußt auf dem Bekenntnis, dass Künstler ein Recht auf Vergütung haben. Dafür brauchen wir eine runderneuerte Gema, die nicht alleine Mainstream-Stars umsorgt, während kleine Clubs und soziokulturelle Zentren zugrunde gehen. Die Gema hat nur dann eine Zukunft, wenn sie ihre internen Verteilungskriterien daran ausrichtet, kleinere und unbekanntere Künstler und Kulturschaffende angemessen zu vergüten. Zweitens brauchen wir mehr legale Geschäftsmodelle, die die Vermarktung von Kulturproduktionen im Internet vereinfachen. Hatte das Internet zunächst Befürchtungen in Richtung einer Gratiskultur genährt, so kann inzwischen von einer generellen Zahlungsverweigerung keine Rede mehr sein. Der Trend zur Nutzung legaler Musik- und Videoangebote ist deutlich erkennbar; das müssen wir unterstützen, damit der Trend zur allgemeinen Norm werden kann. Drittens müssen Kulturschaffende auch insgesamt besser abgesichert werden, vor allem was die häufig prekären Lebensumstände betrifft. Das ist mit dem Bezahlen einzelner Downloads nicht erledigt; das braucht neue Regeln, etwa in der Sozialversicherung. Klar ist: Für den Schutz vor Ausbeutung von Künstlern sind nicht nur einzelne Konsumenten, dafür ist die Gesellschaft als Ganze zuständig.

Grundrechte schützen

Der Vertrag zwischen Künstlern und Konsumenten braucht aber noch eine zweite Säule. Und zwar das Recht der Nutzer auf angemessene und praktische Regelungen, die der digitalen Realität entsprechen. Es gibt bereits interessante Vorschläge in der Diskussion, wie zum Beispiel verschiedene Creative-Contribution-Modelle, die eine nicht kommerzielle Verteilung digitaler Inhalte erlauben. Diese Ansätze müssen wir weiter diskutieren. Klar ist: Ein modernisiertes Urheberrecht wird nur Akzeptanz finden, wenn es sich im Alltag als handhabbar und angemessen erweist. Deshalb muss Schluss sein mit dem Abmahnmissbrauch und der Kriminalisierung auf den Schulhöfen. 4,3 Millionen Deutsche wurden im letzten Jahr wegen Urheberrechtsverletzungen gerügt. Einige Anwälte machen so vielleicht den großen Reibach; angemessene Rechtsdurchsetzung sieht aber anders aus. Und apropos angemessen: Um das Urheberrecht im Internet durchzusetzen, dürfen keine Grundrechte verletzt werden. Die Privatsphäre bleibt privat, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bleibt bestehen. Eine flächendeckende Erfassung des Datenstroms oder eine Sperrung von Internetzugängen lehnen wir ab. Denn der Spruch "Was in der analogen Welt Unrecht ist, kann in der digitalen kein Recht sein" gilt eben nicht nur in Bezug auf den Diebstahl geistigen Eigentums. Er gilt auch für die Wahrung von Grundrechten.

Was wir fordern, ist der Verzicht auf die "natürlichen Freiheiten": auf das Privileg, für Kunst im Internet nichts zu bezahlen. Und auf die Früher-war-alles-besser-Bequemlichkeit. Aber wir sind überzeugt, dass dieser Verzicht sich lohnt. Weil wir dafür nämlich neue Freiheiten gewinnen. Die Freiheit der Kultur im Netz. Und die Kultur der Freiheit im Netz. Das durchzusetzen vermag Politik nicht allein. Aber es geht nicht ohne Politik. Und nicht ohne Regeln.