Die EU-Verordnung 1191/69 wurde zum Synonym für ein Gezerre um die Auslegung von Gerichtsurteilen, das mit dem Altmark-Trans-Urteil des Europäischen Gerichtshofes 2003 noch lange nicht vorbei war. Im Kern ging es dabei um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die öffentliche Hand Nahverkehrsleistungen finanzieren darf, ohne gegen Beihilferecht zu verstoßen – ein schwer zugängliches Expertenthema. Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem neuen ÖPNV-Rechtsrahmen war die Verabschiedung der neuen EU-Verordnung 1370 im Jahr 2007 – ein großer Verhandlungserfolg für SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, dem es gelang, einen EU-verordneten Ausschreibungswettbewerb im ÖPNV zu verhindern.

EU-Verordnung endlich in deutsches Recht umsetzen

Seit inzwischen zwei Jahren ist die EU-Verordnung unmittelbar geltendes Recht - die notwendigen Anpassungen im deutschen Recht sind überfällig. Endlich geht die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes jetzt ins parlamentarische Verfahren. Gemeinsam mit der Fraktion von Bündnis90 / Die Grünen - und in Abstimmung mit den SPD-regierten Ländern sowie mit Baden-Württemberg - hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf (Drs.17/7046) eingebracht, der am 19. Januar zusammen mit dem Regierungsentwurf in 1. Lesung im Bundestag beraten wurde. In der Debatte betonten alle Redner ihren Willen, während des parlamentarischen Verfahrens zu einer Einigung zu kommen. Am 29.2.2012 findet im Ausschuss Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine Expertenanhörung statt.

ÖPNV ist eine Aufgabe der Daseinvorsorge

Der Alternativ-Entwurf von SPD und Bündnis90 / Die Grünen stellt das öffentliche Interesse an einem qualitativ hochwertigen Verkehrsangebot aus einem Guss in den Mittelpunkt. Er geht davon aus, dass ÖPNV eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist, die zum großen Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert wird und für die die Kommunen als Aufgabenträger Verantwortung haben. Sie müssen deshalb auch diejenigen sein, die in Abstimmung mit Verkehrsunternehmen, Vertretern von Fahrgästen und Behindertenvertretern im Nahverkehrsplan definieren können, wie ein solches Verkehrsangebot aussieht - ein Rahmen der für eigene kommunale Unternehmen ebenso gelten muss wie für private.

Gesetzentwurf der Regierung ist unzureichend

Der Regierungsentwurf hingegen gibt keine Gewähr dafür, das Standards für Qualität, Takt und Bedienung in aufkommensschwachen Zeiten eingehalten werden. Weder die in der EU-Verordnung vorgesehene Direktvergabe an eigene und klein- und mittelständische Unternehmen wird rechtssicher umgesetzt, noch die Möglichkeiten, bei öffentlich finanzierten Verkehrsangeboten Tarif- und Sozialstandards vorzugeben. Der Entwurf bleibt noch hinter dem Kompromiss zurück, auf den sich der Bund-Länder-Fachausschuss Straßenpersonenverkehr bereits vor mehr als einem Jahr geeinigt hatte.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom September 2011 auch den Alternativentwurf in vielen wesentlichen Punkten unterstützt. Die Bundesregierung hat jedoch diese Vorschläge in ihrer Gegenäußerung nicht aufgegriffen, angefangen bei verbindlicherer Barrierefreiheit bis hin zu mehr Gestaltungsspielraum der Länder bei alternativen Bedienformen.

Bedingungen für die Zulassung von Fernbuslinien definiert

Die im Regierungsentwurf vorgesehene unkonditionierte Liberalisierung von Fernbuslinien lehnt die SPD ab. Auch der rot-grüne Gesetzentwurf sieht eine Marktöffnung für den Buslinien-Fernverkehr vor, knüpft sie allerdings an Bedingungen, um Wildwuchs zu verhindern. Fernlinienbusse können durchaus eine preisgünstige Alternative sein und in Regionen mit schlechter Bahnanbindung das Verkehrsangebot verbessern. Allerdings besteht die Gefahr, dass eine unregulierte Freigabe zu Verschlechterungen des Schienenverkehrsangebots und Streckenstilllegung führen kann. Deshalb sieht der rot-grüne Gesetzentwurf folgende Bedingungen vor:

  • Öffentlich finanzierter ÖPNV und Schienenpersonennahverkehr wird vor Konkurrenz geschützt, damit Rosinenpickerei durch private Anbieter verhindert wird.
  • Anbieter von Fernbussen müssen sich am Fahrplanauskunftssystem beteiligen und Anschlussfahrausweise anderer Anbieter vertreiben. Sie müssen bis 2017 Barrierefreiheit herstellen. Die hier vorgesehene kürzere Frist ist deshalb angemessen, weil es sich um ein weitgehend neues Marktsegment handelt.
  • Busse werden in die Mautpflicht auf Bundesfernstraßen einbezogen, um faire Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zum Eisenbahnverkehr mit Preisen für die Trassennutzung herzustellen. Zudem soll der Busverkehr an den Verkehrsinfrastrukturkosten beteiligt werden.