Frage: Herr Oppermann, wie groß ist der Vertrauensschaden in der Großen Koalition wegen der BND-NSA-Affäre?

Oppermann: Die Vorwürfe gegen den Bundesnachrichtendienst wiegen schwer. Wir müssen sie umfassend aufarbeiten. Dazu gibt es keine Alternative. Es gibt einen Konsens in der Koalition, dass wir das aufklären wollen und dann gemeinsam über die Konsequenzen beraten.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Kanzlerin Angela Merkel in den Fokus der Affäre gerückt. Ist das vertrauensvoller Umgang in der Koalition?

Ich verstehe die Aufregung nicht!
Wenn der Vorwurf massiver Spionage gegen Firmen in Deutschland und Europa mit BND-Hilfe im Raum steht, muss der Wirtschaftsminister alles tun, um die Unternehmen zu schützen.

In der Union wird Gabriels Umgang mit der Affäre als Foulspiel gesehen. Schließlich habe man Sie in der Edathy-Affäre geschont...

Man sollte nicht Dinge in Verbindung bringen, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Wir haben gemeinsam mit der Union noch viel vor.

Der Bundestag will Einsicht in die Liste mit den fragwürdigen Suchbegriffen der NSA. Darüber spricht die Bundesregierung gerade mit Washington. Wie reagieren Sie auf ein mögliches Nein zur Offenlegung der Liste?

Jeder hat ein Recht auf Schutz der Privatsphäre. Der Bundestag will wissen, ob und gegebenenfalls wie der BND geholfen hat, europäische Politiker oder Unternehmer auszuspähen. Das ist das gute Recht des Parlaments und seine Pflicht als Kontrollorgan der Regierung. Deswegen muss das Parlament in geeigneter Weise Einblick in diese Liste erhalten.

Die Internet-Spionage für die NSA ist inzwischen gestoppt. Kann man auf Dauer auf diese Form der Zusammenarbeit verzichten?

Wenn der BND jetzt für die Eingabe von Suchbegriffen eine Begründung von der NSA fordert, ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Offenkundig ist es notwendig, dass der BND sich in der Zusammenarbeit mit der NSA stärker absichert. Ich rate aber davon ab, die Kooperation mit den Nachrichtendiensten der USA und anderer Länder zu beenden. Wir brauchen die Zusammenarbeit und den Austausch mit den Amerikanern auch bei der Auswertung von Internetkommunikation – aber bitte nach eindeutigen Regeln und Standards.

Was muss sich ändern?

Der Bundesnachrichtendienst muss sich an Recht und Gesetz halten. Wirtschaftsspionage und das Ausspähen unserer europäischen Partner ist auf keinen Fall zulässig. Nach Abschluss der Untersuchungen wird eine Revision des BND-Gesetzes unabdingbar sein. Die gesetzlichen Grundlagen stammen noch aus dem analogen Zeitalter und sind heute völlig unzureichend. Außerdem muss die Forderung nach effektiver parlamentarischer Kontrolle endlich umgesetzt werden.

Im Wahlkampf 2013 hat die SPD Angela Merkel in der NSA-Affäre vorgeworfen, ihren Amtseid zu verletzen. Haben Kanzlerin und Kanzleramt versucht, das Ganze zu vertuschen?

Ich bin gegen voreilige Schlussfolgerungen. Jetzt geht es darum, die richtigen Fragen zu stellen und vollständige Antworten zu erhalten. Wir müssen erst einmal klären, was wirklich passiert ist. Dann werden wir die notwendigen Konsequenzen ziehen. Alle, die in den zuständigen Stellen Verantwortung tragen oder getragen haben, müssen zur Aufklärung beitragen.

Frank-Walter Steinmeier war als Kanzleramtschef der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder verantwortlich für das Abkommen mit der NSA über vertiefte Kooperation. Trägt nicht auch die SPD Verantwortung für die Affäre jetzt?

Ich kann nicht erkennen, was die damalige Arbeit von Frank-Walter Steinmeier – die immerhin ein ganzes Jahrzehnt her ist - mit den jetzt im Raum stehenden Vorwürfen zu tun hätte. Nicht die damaligen vertraglichen Vereinbarungen zwischen BND und NSA stehen doch in Rede, sondern die tatsächliche Praxis der Zusammenarbeit. Da müssen wir jetzt schnell Licht ins Dunkel bringen und Fakten an die Stelle von Spekulationen setzen.

Die SPD bleibt im Umfragetief. Einige in der Partei geben die Bundestagswahl 2017 schon verloren. Glauben Sie wirklich noch daran, dass die Sozialdemokraten beim nächsten Mal den Kanzler stellen?

Das ist doch alles noch lange hin. Wir haben noch zweieinhalb Jahre bis zur Bundestagswahl. Die SPD ist gut beraten, weiter solide Arbeit in der Regierung abzuliefern. Dafür gibt es übrigens hohe Zustimmungswerte. Wir haben durch eine Reihe von Reformen Vertrauen der Menschen zurückgewonnen.

Wird es für Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidaten nicht enorm schwierig sein, aus der Großen Koalition heraus gegen Merkel und die Union zu punkten?

Die SPD ist die treibende Kraft in der Regierung. Die große Koalition hat ein hohes Ansehen. Der gute Ruf dieser  Koalition ist unser Erfolg. In der letzten Großen Koalition haben wir uns teilweise wie die Opposition verhalten. Das war ein Fehler. Wir werden ihn nicht wiederholen. Bis Anfang 2017 haben wir alle Hände voll zu tun, das Land gut zu regieren. Dann ist immer noch genug Zeit, über den Wahlkampf und unseren Kanzlerkandidaten zu sprechen.

Erst die Lokführer, jetzt die Erzieherinnen: Die Zahl der Streiks nimmt zu. Werden diese Arbeitskämpfe nicht allmählich zur Belastung für den Standort Deutschland?

Streiks sind die ultima ratio in Tarifauseinandersetzungen. Die SPD wird immer an der Seite der Gewerkschaften sein, wenn es um die Verteidigung des Streikrechts geht. Die Erzieherinnen haben für ihre wichtige und anspruchsvolle Arbeit ein deutliches Lohnplus verdient. Beim Lokführerstreik stehen nicht die Interessen der Arbeitnehmer im Vordergrund sondern persönliche Machtinteressen. Das beschädigt das Vertrauen in die Gewerkschaften und die Akzeptanz von Arbeitskämpfen.

Sollte es für Fälle wie diese ein gesetzlich vorgeschriebenes Schlichtungsverfahren geben?

Ich warne davor, dass Streikrecht zu regulieren. Es ist vom Grundgesetz ohne jeden Vorbehalt geschützt. Wenn wir das Streikrecht einschränken, kommen wir auf eine schiefe Ebene. Wir werden bald das Gesetz zur Tarifeinheit verabschieden. Andrea Nahles hat einen guten Entwurf vorgelegt, dabei sollte es bleiben.

 

Das Interview führte Rasmus Buchsteiner am 7. Mai 2015 für das Korrespondentenbüro Slangen + Herholz.